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Der Gesang der Orcas

Der Gesang der Orcas

Titel: Der Gesang der Orcas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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bewegt und wir erreichten sie erst in der Nähe von Cape Alava. An dieser Stelle war das Meer übersät von kleinen Felseninseln verschiedener Größe, die wie seltsam vermummte Gestalten aus dem Wasser ragten. Die Küstenlinie war durch Flussarme unterbrochen, in denen hunderte Möwen nach etwas Essbarem suchten.
    Â»Hier gibt es eine Menge Lachse«, sagte Javid und wischte sich mit dem Handrücken die salzige Nässe aus dem Gesicht. »Wahrscheinlich ist Granny mit ihrer Familie deshalb bis hierher gezogen. Sie fangen die Lachse ab, bevor sie sich auf den Weg zu ihren Laichplätzen in den Flüssen machen können. Unter Wasser können die Wale die Bewegung der Fischschwänze hören und finden auf diese Weise ihre Beute.« Er deutete auf die kleine Walgruppe. »Sieh nur, wie geschickt sie es anstellen.«
    Die Orcas schlugen mit ihren Schwänzen und ihren Brustflossen aufs Wasser, stießen ein lautes Kreischen aus und trieben so die Lachse zusammen. Die alte Walkuh und ihre Tochter Conny waren bei dieser Jagdtechnik besonders erfahren. Sie ließen aber Mora, die ihr Kalb zu meinem großen Bedauern noch nicht geboren hatte, meist den Vorrang, wenn es ums Fressen ging. Streit gab es keinen. Die fünf teilten sich ihre Beute redlich, bis sie satt waren. Zwischendurch tauchten sie auf, um ihre Lungen mit Luft zu füllen.
    Es dauerte lange, bis sie endlich genug hatten, aber für mich war die Zeit wie im Fluge vergangen. Ich konnte mich nicht satt sehen an ihrem Geschick und ihrer Schnelligkeit und schon gar nicht an ihrer fremdartigen Schönheit.
    Schließlich kamen Mora und Bob zu uns, um zu spielen, während Lopo, Conny und Granny in gewohnter Entfernung von ihrem reichlichen Mahl ausruhten. Bobs Kopf tauchte neben dem Schlauchboot aus dem Wasser, so nah, dass ich ihn anfassen konnte, wenn ich das wollte. Schließlich tat ich es. Seine Haut war seidig glatt,wie Glas. Als ich ihn berührte, durchzuckte mich ein eigenartiges Gefühl von Größe und Unendlichkeit. Der Orca stieß klickernde Laute aus und zu gerne hätte ich gewusst, was er mir damit sagen wollte. Es schien ihm zu gefallen, von mir gestreichelt zu werden.
    Und dann passierte etwas, das sogar Javid verblüffte. Bob fing an Laute auszustoßen, die wir bisher noch nicht gehört hatten. Es war eine länger dauernde Abfolge von Tönen, die er in Abständen wiederholte. Nach einer kurzen Zeit fielen die anderen in diesen Walgesang ein. Es war ein richtiges Konzert, ein Orcakonzert und vor Überraschung und Freude liefen mir Tränen über die Wangen.
    Â»Sie singen«, flüsterte ich. Meine Kehle wurde eng.
    Â»Ja«, meinte Javid. »Ich habe schon davon gehört, dass auch Orcas Gesänge haben. Aber ich habe selbst noch nie so einen Schwertwalgesang gehört. Die Wissenschaftler haben noch nicht herausgefunden, aus welchem Grund sie singen und was sie damit bezwecken. Vielleicht bleibt es ihr Geheimnis.« Nach einer kurzen Pause fragte er: »Wusstest du eigentlich, dass sie klassische Musik lieben?«
    Â»Willst du mich veralbern?« Ich lächelte ungläubig.
    Â»Ich veralbere dich nie, Copper, hast du das noch nicht gemerkt? Schwertwale mögen wirklich klassische Musik. In Seattle werden oft Hafenkonzerte veranstaltet und dabei haben sie es herausgefunden. Danach ist dann sogar ein Schiff mit einem Chor an Bord rausgefahren, der für die Wale gesungen hat. Sie haben ihnen alles Mögliche vorgespielt: afrikanische Musik, russische Gesänge, christliche Hymnen und Kinderlieder. Aber Amazing Grace hat ihnen am besten gefallen. Sie kamen immer wieder zurück, um es zu hören.«
    Â»Das ist ja verrückt.«
    Â»Horch nur!«, sagte Javid.
    Die Wale steckten ihre Köpfe aus dem Wasser und ich konnte ihre kräftigen, kegelförmigen Zähne in den geöffneten Mäulern sehen. Ihre Laute wurden immer wunderlicher. Was sie da von sich gaben, erinnerte mich an etwas. »Es hört sich an wie Charlie Parker«, sagte ich. Charlie Parker war ein schwarzer Jazzmusiker und mein Vater besaß alle Platten von ihm.
    Â»Ja«, meinte Javid. »Das stimmt. Es klingt fast wie sein Stück How deep is the Ocean. Hey, das zieht dir doch glatt die Socken aus! Wir hören Meeresradio.«
    Ich musste lachen. »Meinst du nicht, dass sie am besten wissen, wie tief der Ozean ist?«
    Â»Das nehme ich mal an. Vielleicht wollen sie

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