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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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Erwachsenen Kristin die Chance, ihre Gedanken zu ordnen. Seit der Unterhaltung in der Küche der Möncks hatte sie Kopfschmerzen. Sie wurden schlimmer, breiteten sich von ihrer rechten Augenhöhle über den ganzen Kopf aus. Es war die Art von Kopfschmerzen, die sie bekam, wenn sie Gedanken wälzte, die zu keiner Antwort führten. In diesen Minuten machten sich zwei Männer daran, ihr Haus anzuzünden – und sie hatten ihre Erlaubnis dafür. War ihre Entscheidung richtig? Durfte sie das zulassen? Sie wollte es nicht mit ansehen müssen, zog es vor, mit Lisa und den anderen in Hannas Laden zu flüchten und dort zu warten, bis alles vorbei war.
    Es ist böse … geht nicht wieder dorthin zurück …
    Ich werde es vermissen, dachte Kristin und spürte dabei ein Ziehen im Bauch. Vieles würde sie vermissen, vor allem aber Toms alten Ledersessel. Sie hätte Robert gebeten, ihn aus dem Haus zu holen, doch es ging nicht, das wusste Kristin. Fing sie mit dem Sessel an, müssten viele andere Dinge ebenfalls gerettet werden. Es schmerzte, sehr sogar. Doch als sie in den Rückspiegel blickte und dort Lisa sah, wurde der Schmerz erträglicher. Mit Lisa hatte sie mehr als genug Erinnerungen an Tom. Sie war seine Tochter, wurde ihm immer ähnlicher. Sie musste nur gut auf sie aufpassen, sie beschützen, niemals diesen hässlichen Kleinkrieg beginnen, den Ilse mit ihr begonnen hatte.
    Benjamin Blümchen stieß sein Posaunen aus und riss Kristin aus ihren Gedanken. In ihr blieb das Gefühl, etwas Wichtiges vergessen zu haben. Etwas immens Wichtiges. Doch es wollte ihr nicht einfallen, und da linker Hand bereits Hannas Laden aus dem Schneegestöber auftauchte, hatte sie keine Zeit mehr, darüber nachzudenken.
    Sie nahm den Fuß vom Gas und ließ den Wagen auf der Landstraße ausrollen. Ihr fiel der große eckige Berg vor der Eingangstür auf. Da sie den Parkstreifen auf ungefähr der Höhe vermutete, parkte sie den Cherokee dort. Sie stellte den Motor in dem Augenblick ab, als Benjamin seine Erzählung um die Pleite seines Zoos mit einem lauten Posaunen beendete.
    Und plötzlich wusste sie, was sie vergessen hatte.

    Sie stiegen über die Schneewehe hinweg, in der Lisas Spuren kaum noch zu sehen waren. Knietief versackten sie darin. Die Haustür stand einen Spaltbreit offen. Hoffentlich war es der Wind, dachte Robert. Er stieß mit den Fuß gegen die Tür, blieb mit zu Boden gerichteter Waffe auf der Schwelle stehen und sah sich um.
    «Ist da jemand?», rief er in die Diele, bekam als Antwort aber nichts weiter als ein Echo. Was anderes hatte er auch nicht erwartet. Im Schnee waren keine frischen Spuren zu sehen, also war Radduk entgegen seiner Befürchtung nicht zum Haus zurückgekehrt.
    «Bleib hinter mir und sieh dich um.»
    Warum flüsterte er? Sie waren doch allein. Robert streckte seine Hand mit der Waffe vor und betrachtete sie. Sie zitterte nicht. Er war vielleicht nicht die Ruhe selbst, von einer Panik aber weit entfernt. Trotzdem hatte er das Gefühl, leise sein zu müssen, vor allem aber, sich beeilen zu müssen.
    Gemeinsam wollten sie erst die von Kristin gewünschten Sachen in den Wagen schaffen. Aus dem Büro im Erdgeschoss holte Robert den Ordner, den Kristin ihm beschrieben hatte. Er war dick und schwer. Dann stiegen sie die Treppe hinauf, wiederum bemüht, leise zu sein, doch bei dem Gewicht zweier Männer ließ sich das laute Knarzen des Holzes nicht vermeiden. In Lisas Zimmer nahm Johann den ockerfarbenen Teddy an sich, in Kristins Zimmer das hölzerne Schmuckkästchen.
    Noch auf dem Rückweg, oben an der Treppe, hörten sie plötzlich ein lautes Poltern und im selben Atemzug die Stimme.
    «Ich bin wieder hier, in meinem Revier, war nie wirklich weg, hab mich nur versteckt.»
    Keine Sekunde später krachte die Schmuckschatulle zu Boden. Sie polterte die Stufen hinunter und verstreute ihren Inhalt auf der Treppe. Robert sah, wie Johann seine Augen weit aufriss, eine Hand um den Teddy verkrampfte und sich mit der anderen an den Brustkorb fasste. Dann geriet es ins Taumeln, stolperte auf ihn zu.
    «Johann, nein!»
    Der schwere alte Mann fiel ihm in die Arme. Da Robert auf der Treppe stand, konnte er das Gewicht nicht ausgleichen. Er versuchte Johann aufzufangen, wurde dabei selbst von den Füßen gerissen und gegen die Wand gedrückt. Aneinandergeklammert polterten sie wie zuvor die Schatulle die Treppe hinunter. Jede einzelne Stufe spürte Robert irgendwo an seinem Körper, ein spitzer Gegenstand, wohl ein

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