Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
Vom Netzwerk:
mir!»
    «Später. Wo ist der Vater des Jungen?»
    «Drüben im Haus.»
    «Rufen Sie an! Sagen Sie, er soll auf jeden Fall im Haus bleiben. Wir kommen rüber.» Franziska nickte, griff zum Telefon und erstarrte. «Die Schnur», sagte sie tonlos.
    Johann ging vor der Telefondose in die Knie. «Mist», fluchte er. «Wir haben mit dem Schrank das Kabel raus gerissen. Ist nicht zu reparieren.»
    «Okay, macht nichts, wir gehen sofort zu Ihrem Mann hinüber. Zieht euch an.»
    Johann kam aus der Hocke hoch und hielt Robert auf. «Warten Sie … auf wen haben Sie geschossen? Ich muss es wissen.» Sein Blick wechselte zwischen Kristin und Robert. Kristin sah Robert an. Er nickte.
    «Nicht hier», sagte Johann und deutete mit einem Kopfnicken auf die Kinder. «Gehen wir in die Küche.»
    «Maria, Franziska, zieht die Kinder an», befahl Johann, ging voran und zog die Tür hinter ihnen zu.
    Kristin bemerkte seine zitternde Hand und sein aschfahles Gesicht. Er ist krank, schoss es ihr durch den Kopf.
    «Du hast gesagt, ihr hättet das Haus abbrennen sollen, warum?», fragte sie ihn, ahnte aber bereits, was er antworten würde.
    «Um es unbewohnbar zu machen.»
    Kristin hörte die Worte ihrer Mutter. Das Haus ist böse … verlasst es sofort … geht nicht wieder dorthin zurück, es ist böse. Ja, sie hatte recht! Dieses Haus war kein Ort zum Wohnen. Während sie Johann anstarrte, in Wirklichkeit aber das angsterfüllte Gesicht ihrer Mutter sah, traf Kristin ihre Entscheidung.
    «Lasst es uns jetzt tun.»
    Sie wusste, dass es keinen anderen Weg gab, und sie wusste auch, dass es für sie und Lisa keinen Weg zurück in ihr Haus gab. In der letzten Nacht hatte es sich verändert, hatte sein wahres Gesicht gezeigt. Nie wieder würde sie mit denselben Gefühlen im Bauch durch die Zimmer gehen, nie wieder ohne Angst die Nächte verbringen. In einem solchen Haus konnte sie Lisa unmöglich großziehen.
    Johann nahm ihre Hand. «Bist du sicher?»
    Sie nickte, krampfhaft bemüht, ihre Tränen zu unterdrücken.
    «Was ist da drüben passiert? Auf wen haben Sie eben geschossen?», fragte Johann nochmals an Robert gewandt.
    Robert klärte ihn in kurzen Sätzen auf. Er stockte oft, wusste nicht, wie er seine Gedanken in Worte fassen sollte. Was er sagte, hörte sich für ihn selbst unglaublich an.

31
    In der rechten Hand hielt Robert die entsicherte Waffe, mit der linken zog er die Tür auf. Dichtes Schneegestöber empfing sie. Die Sicht betrug weniger als zwei Meter. Der Wind war kalt und schneidend.
    Robert hielt seine freie Hand hoch, signalisierte den anderen, dass sie warten sollten, und trat hinaus. Ein schneller Blick nach rechts und links, der Weg war frei. Mit einem Finger an den Lippen warnte Robert nochmals davor, Geräusche zu machen, dann winkte er sie zu sich. Wie eine lebendige Traube schlichen sie dicht aneinandergedrängt durch den hohen Schnee. Robert ging vorn, die Kinder in der Mitte, die Frauen an den Seiten, Johann hinten. Er blickte sich immer wieder um. Den Kindern hatten sie eingeimpft, nichts, absolut nichts zu sagen, und sie waren alt genug und hatten Angst genug, sich daran zu halten. Trotzdem waren sie nicht lautlos. Das Nylonmaterial ihrer Jacken scheuerte laut bei jeder Bewegung.
    Sie schlichen auf das neue Haus im hinteren Teil des Gartens zu, konnten aber nicht mehr erkennen als die Schatten der Gebäude rechts und links. Binnen einer Minute waren sie alle weiß wie Schneemänner. Zwanzig Meter über den Hof, hatte Johann gesagt, mehr nicht. Wie viel hatten sie geschafft? Zehn Meter? Robert konnte es nicht sagen. Der dichte Schneefall raubte ihm seinen Orientierungssinn. Aus zusammengekniffenen Augen versuchte er, vor sich die Umrisse des Hauses auszumachen.
    Plötzlich blieb er stehen. Die anderen liefen gegen ihn.
    Er hatte etwas gesehen, eine Bewegung, einen Schatten. Auf sein Zeichen, Daumen runter, das sie vorher abgesprochen hatten, hockten die anderen sich nieder. Maria, Kristin und Johann beugten sich mit ihren Körpern schützend über die Kinder. Robert blieb stehen und starrte in die weiße Wand. Hatte er sich getäuscht?
    Und wenn nicht, wenn Radduk sie tatsächlich angriff, konnte er die anderen dann beschützen? War er durch Kugeln noch zu stoppen? Diese Unsicherheit machte ihn nervös. Und sie machte ihm Angst.
    Eine Gestalt. Jetzt sah er sie deutlicher. Ein verschwimmender Schemen in der weißen Wand, groß, dunkel, wankend – und er kam geradewegs auf ihn zu. Robert ging in Stellung, zielte

Weitere Kostenlose Bücher