Der Gesang des Blutes
braunen, matschigen Hülle zum Vorschein kam, ließ ihn selbst fast erbrechen. Es war so flüssig, dass es sofort auf den Teppich klatschte und fauligen Geruch verbreitete. Die zweite Banane schälte Robert nicht. So, wie sie war, führte er sie an den Mund des Kahlköpfigen.
«Wo ist Sven Brüning?»
Der Mann presste die Lippen aufeinander und drehte den Kopf zur Seite. Robert hockte sich hinter ihn und klemmte seinen kahlen Schädel zwischen seinen Oberschenkeln fest. Der Mann versuchte sich zu wehren; kräftige Sehnen traten an seinem Hals hervor, sein Gesicht lief rot an. Letztlich konnte er aber nichts dagegen tun, dass Robert ihm die Banane an die Lippen hielt. Mit der freien Hand hielt er dem Mann die Nase zu. Es dauerte einige Sekunden, ehe er von Atemnot getrieben die Lippen öffnete. Sofort quetschte Robert die Banane zwischen seine Zähne. Er presste sie immer noch aufeinander, doch die Banane war dermaßen weich, dass Robert sie wie Butter durch ein Metallgitter drücken konnte. Das faulige, stinkende Fruchtfleisch und die vermoderte Schale füllten den Mund des Mannes. Robert ließ ihn los und trat einen Schritt zurück.
Der kahle Kopf flog von einer Seite auf die andere; der Mann spuckte und würgte, und Robert konnte sich vorstellen, dass er in seinem Leben keine Banane mehr essen würde. Wie lange mochte es dauern, bis dieser Geschmack wieder verschwand?
Als er die Banane größtenteils wieder ausgespuckt hatte, sah er wie ein Baby aus. Um seinen Mund herum und auf seiner Jacke klebte Fruchtbrei. Er starrte Robert an. Sein Blick war tödlich.
Mit einem Nicken deutete Robert zur Küche. «Da drüben liegen noch zehn, aber das weißt du sicher. Ich verfüttere eine nach der anderen an dich, wenn du mir nicht sagst, wo Sven Brüning ist.»
«Wo er jetzt ist, weiß ich nicht.»
Robert war beinahe überrascht, die Stimme des Kahlen zu hören.
«Aber du hast ihn gesehen?»
«Radduk hat ihn sich geholt.»
Robert schwieg einen Moment. Obwohl er es geahnt hatte, setzte die Nachricht ihm zu. Ihre Bedeutung war klar, er musste nicht fragen, tat es aber doch.
«Ist er tot?»
Der Kahle nickte.
«Was weiß Radduk von mir?»
«Wenn er etwas wüsste, müsste ich nicht die Nächte hier im Treppenhaus verbringen.»
Jetzt nickte Robert. Dann nahm er mit einer langsamen Bewegung die Betäubungspistole aus dem Achselholster. Die Augen des im Teppich eingerollten Mannes wurden groß.
«Ich hab deinen Freund nicht umgelegt. Radduk hat das getan.»
Robert ging in die Hocke, drückte den Lauf der Waffe an den Hals des Mannes und zog den Abzug durch. Es war ihm egal, ob die Dosis ihn töten würde oder nicht.
18
Schwere graue Wolken zogen am Fenster vorbei. Kräftiger Wind trieb sie von Ost nach West, und in der Luft lag eine Ahnung von baldigem Schnee. In dem kleinen Einzelzimmer war es düster und still. Zwar surrten und fiepten die medizinischen Geräte, doch diese Geräusche hörte Kristin nicht mehr. Im Laufe der vergangenen fünf Tage waren sie zu einer normalen Hintergrundmusik geworden.
Sie saß auf dem unbequemen Besucherstuhl, hielt ihre Hände im Schoß gefaltet und sah ihre Mutter an. Was sie sah, erschreckte sie jeden Tag aufs Neue. Nur der Kopf und die Arme schauten unter dem weißen Laken hervor; über Infusionsschläuche waren ihre Arme mit zwei großen Beuteln voller klarer Flüssigkeit verbunden, ein dünnes Kabel verschwand unterm Kinn und führte zum Brustansatz. Es registrierte die Herztöne.
«Koma», hatte der Chefarzt gesagt. Bis heute war ihr dieses Wort nicht aus dem Kopf gegangen. Obwohl der Arzt ihr Mut gemacht hatte, verband Kristin es mit dem Tod. Vielleicht, so dachte sie, können die Menschen während eines Komas ausprobieren, wie es ist, tot zu sein. Ganz unverbindlich, nur so zum Reinschauen. Und wenn es ihnen gefällt, dürfen sie bleiben. Und manchmal müssen sie bleiben, selbst wenn es ihnen nicht gefällt.
Ilse hatte beim Sturz auf der Kellertreppe neben einigen anderen Brüchen einen Schädelbasisbruch erlitten. Die Rippen, der Brustwirbel, Arm und Bein: All das würde früher oder später so gut wie neu sein, hatte der Chefarzt gemeint. Doch der Schädelbruch und das damit einhergehende Koma bereiteten ihm Sorge.
Ilses schlohweißes Haar ließ sie wie eine Geisteskranke aussehen. Über dem rechten Auge war die noch leuchtend rote Narbe zu sehen; Platzwunde, zwölf Stiche. Ihr Gesicht war in den letzten Tagen um viele Jahre gealtert. Ilse so zu sehen, versetzte
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