Der Gesang des Blutes
die Waffe, die sich aus dem Dunkel des Treppenaufganges auf ihn zuschob. Obwohl es kein Geräusch gab, richteten sich seine Nackenhaare auf, und seine Kopfhaut zog sich zusammen. Die Hände mit dem Dietrich bereits nach dem Türgriff ausgestreckt, verharrte er für den Bruchteil einer Sekunde – und handelte dann.
Er sackte in die Knie, drehte sich wie ein Kosak auf dem Hacken und streckte ein Bein von sich. Seine Fußknöchel trafen auf harten Widerstand. Er riss jemanden von den Beinen, den er in der Finsternis des Treppenhauses nicht sehen konnte. Die Person schrie überrascht auf und krachte zu Boden. Robert hob in sitzender Stellung den rechten Fuß und ließ den Stiefel dort niedersausen, wo er den Kopf vermutete. Er traf den Brustkorb. Der Angreifer röchelte und stöhnte. Robert wälzte sich herum. In dem Augenblick ging das Licht an. Robert hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Jetzt sah er den kräftigen Mann neben sich. Er hatte die Waffe noch in der Hand, war aber nicht in der Lage zu schießen. An den hervorquellenden Augen erkannte Robert, dass sein Tritt dem Mann den Atem genommen hatte. Mit dem Ellenbogen versetzte er ihm einen schnellen, harten Schlag gegen die rechte Schläfe. Augenblicklich erlosch sein Blick. Und nachdem Robert sich zwei Minuten still verhalten hatte, auch die Lichter des Treppenhauses. In dieser Zeit beruhigten sich sein Atem und seine Hände.
Das Türschloss zu Svens Wohnung hatte er binnen Sekunden mit dem Dietrich geöffnet. Er zerrte die schwere Gestalt in die Wohnung, verharrte an der Tür und lauschte. Nichts.
Robert schloss die Tür und verriegelte sie. Dann zog er die Vorhänge an den Fenstern zu. Erst jetzt machte er Licht, verdunkelte die Lampen aber mit Tüchern. Svens Zweizimmerwohnung verwandelte sich in eine düstere Höhle, in der es muffig roch. Robert rümpfte die Nase. Auf seiner schnellen Suche nach etwas, womit er den Mann fesseln konnte, kam er dem Zentrum des Gestanks näher. Eine Schale voller verwesender Bananen auf dem Küchentisch, von der ein beachtlicher Schwarm Fruchtfliegen aufstieg. Angewidert wandte Robert sich ab.
Er fand nichts zum Fesseln. Schließlich schob er den Wohnzimmertisch und einen alten Sessel von einem abgewetzten Orientteppich. Dann zerrte er den Mann auf diesen Teppich und rollte ihn mit auf den Rücken liegenden Armen darin ein. So eng und fest, dass er sich nicht würde bewegen können. Nur der Kopf und die Füße schauten noch heraus. Robert betrachtete das Gesicht des Kahlköpfigen eine Weile, konnte aber nicht sagen, ob er ihn schon einmal gesehen hatte.
Schließlich stand er auf und ging in die Küche. Das Regal, das Sven ihm beschrieben hatte, befand sich rechts neben der Tür. Es reichte vom Boden bis zur Decke und war angefüllt mit allem möglichen Krimskrams. Robert ging auf die Knie und sah unter das unterste Bord. Eine grüne Plastiktüte war mit Teppichklebeband darunter befestigt. Er entfernte sie und warf einen Blick hinein. So wie es aussah, hatte Sven nichts von dem Geld genommen. Er hatte also doch auf ihn gehört.
Aus dem Wohnzimmer erklang ein röchelndes Stöhnen. Mit der Tüte in der Hand ging Robert hinüber. Die Lider des Kahlköpfigen flatterten. Robert nahm einen Stuhl und stellte ihn mit den Beinen rechts und links neben die Teppichrolle über den Bauch des Mannes. Dann setzte er sich darauf. Es dauerte noch eine Minute, ehe der Kahlrasierte ihn aus halbwegs klaren Augen ansah. Er sagte nichts. Robert schüttete das Geld aus der Tüte über dessen Gesicht aus. Hunderttausend Euro. Dann nahm er die Waffe und ließ sie mit dem Lauf nach unten über dem Kopf des Mannes baumeln.
«Das suchst du doch, oder?»
Und als keine Antwort kam:
«Ich suche Sven Brüning. Kannst du mir weiterhelfen?»
Und als immer noch keine Antwort kam:
«Schickt Radduk dich?»
Die Augen des Mannes verrieten nichts, aber das brauchten sie auch nicht. Robert wusste, woran er war. Dass der Typ im Treppenhaus gelauert hatte, war Antwort genug. Radduk hatte Sven gefunden. Es blieb nur die Frage offen, ob Sven rechtzeitig Lunte gerochen hatte und untergetaucht war. Dagegen sprach allerdings, dass er sich seit zwei Tagen nicht mehr gemeldet hatte.
Robert stand vom Stuhl auf und ging in die Küche. Mit drei der eklig verfaulten Bananen kam er zurück. Der Kahlköpfige wand sich in dem Teppich, kam aber nicht frei. Schweißperlen standen auf seiner Glatze.
«Hast du Hunger?»
Robert schälte eine Banane. Was unter der
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