Der Gesang des Blutes
Zitronenduft würde vielleicht den schweren Geruch des Blutes vertreiben. Zunächst aber füllte er den Eimer mit heißem Wasser aus dem Duschkopf, ging damit in die Diele, tauchte den großen Feudel ein und begann, dass Blut nach und nach aufzuwischen. Schnell war das Wasser dunkelrot. Nach dem zehnten Mal wechseln – er goss die Brühe in die Toilette und spülte jedes Mal kräftig nach – hörte er zu zählen auf. Seine Finger waren vom heißen Wasser gerötet, Schweiß tropfte von seiner Stirn, als er eine Stunde später das Blut aus der Diele und die Fragmente aus Radduks Kopf von der Wohnzimmertür entfernt hatte. Nur noch Reste waren in den Fugen zwischen den hellen Fliesen zu sehen. Robert goss eine ganze Flasche Reinigungsmittel in den Eimer und füllte ihn mit heißem Wasser auf. Mit dieser Mischung schrubbte er den Boden so lange, bis auch die letzte Spur des Blutes verschwunden war. Der Zitronengeruch war intensiv und tat gut.
Schließlich war er fertig. Erschöpft räumte er die Putzsachen in den Schrank zurück. Im Waschbecken wusch er sich die ohnehin schon porentief sauberen Hände und warf sich kaltes Wasser ins Gesicht. Das erfrischte und vertrieb die Müdigkeit etwas. Nachdem er sich abgetrocknet hatte, ging er auf die Diele. Noch immer spiegelten die Fliesen feucht. Nichts außer seiner unauslöschlichen Erinnerung wies darauf hin, dass vor etwas mehr als einer Stunde ein Kampf um Leben und Tod auf dieser Diele stattgefunden hatte.
Robert ging zur Haustür, schob mit dem Fuß die Milchkanne beiseite, öffnete sie einen Spalt weit und spähte hinaus. Dort wartete die nächste Überraschung. Während er Radduk von diesem Planeten getilgt hatte, war draußen ein wahrer Schneesturm losgebrochen. Kleine Flocken fielen dicht wie ein Nebelvorhang, wurden von kräftigen Windböen zerzaust, mal hierhin, mal dorthin getrieben, hatten sich bereits zentimeterhoch aufgeschichtet, und es sah nicht so aus, als ob bald Schluss sein würde.
Robert trat einen Schritt vor. Die Luft war schneidend, die heftig getriebenen Flocken zwangen ihn, seine Augen zusammenzukneifen. Nichts regte sich auf dem Hof, auch die Landstraße war verwaist. Fast schien es, als gebe es kein weiteres Leben auf der Erde, als seien sie die letzten Überlebenden einer göttlichen Reinigungsaktion. Und der Schnee bedeckte in seiner gleichmütigen Art alles mit einer wattigen Schicht des Schweigens.
23
Lisa schlief schon eine ganze Weile in ihren Armen, als Robert Stolz die Küche betrat. Kristins Muskeln schmerzten, sie hatte nicht gewagt, sich zu bewegen, hätte es wahrscheinlich auch nicht gekonnt. Zwischendurch, eingelullt durch Lisas Herzschlag an ihrer Brust, war sie des Öfteren in einen Sekundenschlaf gefallen und jedes Mal daraus aufgeschreckt, weil er mit Bildern gespickt war, die selbst ihr Unterbewusstsein nicht ertragen konnte. Bilder, an die sie sich eine Sekunde später schon nicht mehr erinnerte, die aber einen fahlen Nachgeschmack der Angst hinterließen. Kristin ahnte, dass sie nur die vergleichsweise harmlosen Vorboten größerer Brüder waren, die sich, sobald sie richtig schlief, mit der Brillanz eines Polaroids zeigen würden.
In eine Wolke Zitrusduft gehüllt (während Kristin ihn in der vergangenen Stunde draußen in der Diele hatte rumoren hören, hatte sie versucht, sich nicht vorzustellen, was er da tat) kniete Robert Stolz sich vor ihnen hin.
«Wie geht es ihr?», fragte er kaum hörbar.
«Sie ist eingeschlafen. Ich kann sie nicht mehr lange halten. Würden Sie mir helfen, sie ins Wohnzimmer zu bringen?»
Kristin wollte sie auf keinen Fall in ihr Zimmer bringen, das wäre entschieden zu weit weg, beinahe wie am anderen Ende der Welt. Der Mann hatte ihr sicher eine Menge zu erzählen, und mittlerweile wollte sie auch eine Menge wissen, doch er würde es in Lisas Beisein tun müssen oder gar nicht. Und solange sie tief und fest schlief, ging das wohl in Ordnung.
Kristin übergab ihm ihre Tochter, sie hatte keine andere Wahl. Aus eigener Kraft wäre sie mit ihr auf den Armen nicht vom Boden hochgekommen. Vorsichtig schob Robert seine Arme unter den kleinen, warmen Körper und stand auf. Lisa grunzte, wackelte mit dem Kopf, schlief aber weiter. Mit behutsamen Schritten trug er das Mädchen zum Wohnzimmer.
Kristin kämpfte sich mühsam auf die Beine. Alle Muskeln waren verspannt, weigerten sich, ihren Dienst zu tun. Außerdem spürte sie blaue Flecken von den Schlägen und der Herumschubserei des Einbrechers.
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