Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
Vom Netzwerk:
im Moment wichtiger war.
    Auf der Diele sah es entsetzlich aus – und es roch auch so. Robert war den Anblick und Geruch von frischem, warmem Blut ebenso wenig gewohnt wie die meisten anderen Menschen. Sein Magen zog sich zusammen, und er bekam einen Nachgeschmack dessen, was er vorhin in der Gaststätte zu sich genommen hatte. Doch es half nichts – diese Aufgabe blieb an ihm hängen. Die Leiche konnte nicht auf der Diele liegen bleiben. Sie musste verschwinden, und zwar schnell. Es bestand die Möglichkeit, dass jemand die Schüsse gehört hatte. Die Leiche musste weg. Das Blut musste weg.
    Um einen klaren Gedanken ringend, stand Robert auf der Diele und starrte auf die Leiche hinab. Wie hatte er nur so unvorsichtig sein können? Wieso hatte er ihn auf dem ganzen Weg von Hamburg hierher nicht bemerkt? Ganz kurz tauchte Sven in seinen Gedanken auf. Robert fragte sich, was geschehen war? Hatte Sven ihn an Radduk verpfiffen? Er verfolgte diesen Gedanken nicht weiter, widmete sich stattdessen dem Chaos auf der Diele. Er ging zur Haustür und drückte sie zu. Da er sie aufgetreten hatte, schloss sie nicht mehr. Er nahm eine alte, mit bunten Blumen bemalte Milchkanne, die wohl als Regenschirmständer diente, und stellte sie davor. Der kräftige Wind würde die Tür irgendwann aufdrücken, doch fürs Erste musste es reichen. Später würde er sich darum kümmern. Später, nachdem er aufgeräumt hatte.
    Radduks Waffe lag unweit der sich noch immer ausbreitenden Blutlache auf den Fliesen. Robert nahm sie an sich, überprüfte den Ladezustand und legte sie auf den Dielenschrank. Das war eine vertraute Tätigkeit, die ihm etwas von der alten Selbstsicherheit zurückgab. Dabei fiel sein Blick auf die hölzerne Tür unter der Treppe. In respektvollem Abstand zur Blutlache ging er hinüber und öffnete sie.
    Er musste die Leiche vorläufig verstecken, wenigstens so lange, bis er sie unbemerkt abtransportieren und irgendwo entsorgen konnte. Die Möglichkeit, die Polizei zu rufen und sich damit zu rechtfertigen, einen Einbrecher in Notwehr erschossen zu haben, zog Robert nicht für eine Sekunde in Betracht. Zu viele Fragen hätte das nach sich gezogen, und er hätte Dinge erklären müssen, die sich nicht ohne weiteres erklären ließen.
    Er schaltete das Licht ein. Eine steile Treppe führte in die Tiefe. Robert betrachtete noch einmal die Leiche. Der Kerl war groß und massig, ganz so, wie er ihn in Erinnerung hatte. Weniger als hundertzwanzig Kilo wog er sicher nicht, zudem lag er in seinem eigenen Blut. Wie sollte er den schmierigen Körper ohne Hilfe die steile Treppe hinunterbekommen? Noch wichtiger war aber die Frage, wie er ihn später wieder hinaufbekam? Kristin Merbold konnte er dafür sicher nicht einplanen.
    Nun, darüber würde er sich den Kopf zerbrechen, wenn es so weit war. Zunächst einmal war nur wichtig, dass Radduk so schnell wie möglich aus der Diele verschwand. Bevor ein neugieriger Nachbar auftauchte, um nach einer Tüte Mehl zu fragen.
    Da Robert sich nicht über und über mit Blut einsauen wollte, machte er sich auf die Suche nach etwas, worin sich die Leiche einwickeln ließ. An der Tür zum Wohnzimmer bemerkte er kleine weiße Knochensplitter und anderes aus Radduks Kopf, dass daran klebte. Angeekelt und nahe daran, sich zu übergeben, öffnete er die Tür, machte Licht und sah sich um. Auf der Couch entdeckte er eine große bunte Wolldecke. Damit bewaffnet kehrte er in die Diele zurück – der Geruch war unerträglich. Sollte innerhalb der nächsten Stunde jemand zu Besuch kommen, würde dieser Jemand schon vor der Tür riechen, dass etwas nicht in Ordnung war.
    Robert überwand seinen Ekel, packte Radduks Füße und zog ihn, so weit es ging, aus der Blutlache in Richtung Kellertür. Er musste heftig schlucken, um die aufsteigende Übelkeit zu unterdrücken, als er den leblosen Körper in die Decke einrollte. Der Kerl war schwer, unglaublich schwer. Robert keuchte und schnaufte, geriet ins Schwitzen und konnte nicht verhindern, dass seine Finger mit dem Blut in Berührung kamen.
    Nach einer kurzen Pause packte er erneut die Füße und ging rückwärts die schmalen Stufen hinunter. Dabei bemerkte er, dass Radduks Blut nicht das Einzige war, was stank. Übler, modriger Geruch stieg aus dem Keller empor.
    «Wie geschaffen für dich», flüsterte Robert und zog an der Leiche. Auf der nächsten Stufe rutschte er aus. Die Kante war hart, der Schmerz trieb ihm Tränen in die Augen. Fluchend zerrte er

Weitere Kostenlose Bücher