Der Gesang des Blutes
Radduk weiter. Unten angekommen ließ er die Beine fallen, stützte sich auf seine Oberschenkel ab und rang nach Luft. Der penetrante Gestank erschwerte das Atmen. Schweiß tropfte von seiner Stirn.
Schließlich machte er sich auf die Suche nach dem Lichtschalter für den einzigen Kellerraum. In der Dunkelheit tastend fand er ihn auf der anderen Seite der Wand. Er schaltete das Licht ein und sah sich um.
Außer einem hölzernen Regal, in dem ein flacher Gegenstand lag, gab es weiter nichts in dem rechtwinkligen Raum. Offenbar wurde der Keller nicht benutzt. Umso besser, dachte Robert. Somit gab es hier unten nichts, was Kristin oder ihre Tochter in den nächsten Stunden brauchten. Oder in den nächsten ein bis zwei Tagen, schließlich war es nicht abzusehen, wann er die Leiche würde entsorgen können.
Er packte noch einmal deren Füße, zerrte sie in den niedrigen Raum und ließ sie in der Mitte liegen. Ihm fiel auf, dass der Kellerboden aus gestampftem Lehm bestand. Mit dem Hacken seines Stiefels bohrte er eine Vertiefung in den feuchten Boden. Mit einiger Anstrengung war es durchaus möglich, dort ein Loch zu graben, tief genug, um … Robert verwarf den Gedanken. Eine Leiche im Keller stand bestimmt nicht auf Kristin Merbolds Wunschzettel für Weihnachten. Er warf einen letzten Blick auf die eingewickelte Leiche, von der nur noch die Füße und Unterschenkel zu sehen waren, löschte das Licht und stieg hinauf.
Bevor er mit der Arbeit begann, wollte er nach Kristin und ihrer Tochter sehen. Er ging in die Küche. Die beiden saßen noch immer am Boden, eingezwängt in die Ecke zwischen Tisch und Wand. Kristin flößte der Kleinen etwas ein, das wie Orangensaft aussah. Sie sah ihn aus geröteten Augen an, als er vor ihnen in die Hocke ging. Robert versuchte sich in einem Lächeln. «Wie geht es ihr?»
«Wer sind Sie?» Barsch und abweisend war die Frage, aber etwas anderes konnte Robert wohl nicht erwarten. Revolverschwingende Türauftreter waren nicht in jedem Haus willkommen, nicht einmal, wenn sie eine Vergewaltigung verhinderten. Und schon gar nicht, wenn sie Blut und Gehirn in der Diele verspritzten.
«Das zu erklären dauert eine Weile, und ich bin da draußen noch nicht ganz fertig. Mein Name ist Robert Stolz, und …»
Er bemerkte, wie Kristins Augen sich weiteten. «Was ist?»
«Der … der Mann, er war auf der Suche nach Ihnen.»
Robert nickte. «Ja, und es tut mir leid, dass Sie da mit hineingezogen wurden, das müssen Sie mir glauben. Ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Bleiben Sie bitte noch eine halbe Stunde in der Küche, dann erkläre ich Ihnen alles.»
«Sie müssen die Polizei rufen», sagte Kristin, doch es hörte sich mehr wie ein Vorschlag denn wie ein Befehl an. Robert zögerte kurz, bevor er antwortete. «Ich halte das nicht für eine gute Idee», sagte er vorsichtig. «Lassen Sie mich bitte erst alles erklären. Wenn Sie dann immer noch die Polizei rufen wollen, was ich nicht glaube, werde ich Sie nicht davon abhalten. Okay?»
Während er sprach, sah er Kristin in die Augen. Sie sollte erkennen, dass er sie nicht belog, dass keine Gefahr von ihm ausging und er es ernst meinte mit seiner Hilfe. Augen konnten vieles verraten, und Robert hoffte inständig, dass Kristin in den seinen wenigstens ansatzweise seine Absichten sah. Sie antwortete jedoch nicht sofort, starrte ihn nur an, als wolle sie sein Innerstes nach außen kehren, jene Wahrheit hervorholen, die sich hinter dem Deckmantel des Sichtbaren versteckte. Viel zu lange dauerte Robert dieser Blick, viel zu nervös machten ihn diese Augen. Seine Hoffnung, sie würde ihm vertrauen, schwand dahin, und er suchte schon nach anderen, überzeugenderen Worten, als sie endlich nickte.
«Okay», flüsterte sie.
Robert nickte und streckte seine Hand aus. Er wollte Lisa über den Kopf streicheln, so wie man es bei kleinen Kindern nun mal tat, doch die Kleine zuckte zurück, und auch Kristin verspannte sich. Schnell nahm Robert seine Hand zurück.
«Ich passe auf, dass euch nichts mehr passiert, dir und deiner Mama. Hab keine Angst mehr, alles wird wieder gut.»
Zusammengekauert beobachteten die beiden ihn beim Aufstehen.
«Wo finde ich einen Eimer und Sachen zum Putzen?»
«Im … im Bad, vorn in der Diele.»
Robert nickte und verließ die Küche. Im Badezimmer fand er in einem Eckschrank einen roten Plastikeimer, Lappen, Schrubber und einige Putzmittel. Er schraubte den Deckel einer gelben Flasche ab und roch daran. Der intensive
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