Der Gesang des Satyrn
Handbewegung und zwang sich zu einem aufmunternden Lächeln. „Ein Schatten der Vergangenheit, Thratta, nichts weiter.“ Neaira schob den Schleier vor ihr Gesicht, und sie machten sich auf den Weg zurück in ihr Haus und zu Stephanos.
Neaira hatte überlegt Stephanos das Zusammentreffen mit Chabrias zu verschweigen, sich dann jedoch dagegen entschieden. Es wäre weitaus schlimmer, wenn Stephanos es von jemand anderem als von ihr erfuhr. Zu gut erinnerte sie sich an den Fehler, Phrynion ihre Bekanntschaft mit Chabrias verschwiegen zu haben. Vielleicht würde Stephanos sie verdächtigen ihrem Gewerbe wieder nachzugehen und die Agora besucht zu haben, um alte Gönner zu treffen. Hatte er nicht tatsächlich Grund zur Eifersucht, auch wenn sie Chabrias widerstanden hatte?
Wie nah war sie daran gewesen wieder die alte Neaira zu werden, von der sie geglaubt hatte, dass sie fort war? Und Stephanos - viel zu oft entschuldigte er sich für ihr bescheidenes Leben und schien noch weitaus mehr unter seinen Verhältnissen zu leiden als sie selbst. Die Liebe, die sie für ihn empfand, war ebenso bescheiden wie das Leben mit ihm. Schon eine einzige Versuchung bedeutete Gefahr.
Nein, sie wollte auf keinen Fall, dass Stephanos ihr misstraute! Deshalb entschloss Neaira sich, ihm vom Zusammentreffen mit Chabrias zu erzählen. Chabrias war nicht wirklich die Gefahr. Neaira wusste, dass diese von jemand ganz anderem ausging. Zu ihm wollte sie auf keinen Fall zurückkehren, vor seinem Feuer graute es ihr mehr als vor der Flamme, die Chabrias entzündet hatte.
Stephanos war der einzige Schutz, den sie hatte, und sie brauchte ihn mehr denn je. Als Neaira sich in Stephanos Arme warf, versuchte er sie zu beruhigen. „Ich habe dir doch versprochen, dass Phrynion dir nichts anhaben kann.“
„Aber Chabrias wird ihm erzählen, dass ich wieder in Athen lebe. Was Phrynion seine Gier ist, ist Chabrias seine Eitelkeit. Stephanos, du kennst ihn nicht! Phrynion vergisst und vergibt niemals. Dazu liebt und hasst er zu leidenschaftlich. Er kann warten aber niemals loslassen.“
„Bleib einfach die nächsten Tage im Haus“, schlug er ihr vor.
Stephanos fürchtete Phrynion nicht, und wenn er ein anderer gewesen wäre, hätte Neaira ihn für mutig gehalten.
Aber er war nur Stephanos – der arglose Stephanos, der sich über wichtige Dinge wenig Gedanken machte. Sein Lächeln war aufrichtig und voller Wärme. Ach, Stephanos ...
wie unbedarft du doch bist , dachte Neaira, während er in seiner beruhigenden Art auf sie einredete. Sie hätte ihm gerne erklärt, was er zu fürchten hatte, wusste aber dass er es nicht verstehen würde. Also schwieg sie und bat ihn darum, die nächste Woche bei ihr zu bleiben. Er tat es anstandslos, und nicht selten saß Neaira in dieser Zeit an der Fensteröffnung und beobachtete Männer, die ihr seltsam oder unbekannt vorkamen. Stephanos lächelte nachsichtig über ihre Angst, Phrynion könnte jemanden schicken sie zu verschleppen. „Warum sollte er das tun? So dumm kann er doch nicht sein, Neaira.“
Dumm ist nur der, der Phrynion unterschätzt , dachte sie, sagte aber nichts. Nach einer Woche musste Neaira zugeben, dass sich nichts Ungewöhnliches ereignet hatte.
Sie wusste, dass Stephanos das Haus verlassen musste, um Geld zu verdienen. Schweren Herzens zeigte sie sich zuversichtlich, als er ihr einen Kuss auf die Stirn gab und sich dann auf den Weg machte. Als Stephanos fort war, wies sie Kokkaline an weiter Ausschau nach Fremden zu halten und schloss sich mit Thratta und Phano in ihrem Raum ein, wo sie unruhig auf und ab ging.
„Er hätte doch schon längst etwas unternommen, wenn er es gewollt hätte, Herrin. Er hat dich vergessen.“ Thrattas gut gemeinte Worte beruhigten Neaira nicht. Vergessen?
Phrynion sollte sie nicht vergessen, er sollte nur nicht wieder in ihr Leben treten - in dieses traurige kleine Leben, das sie sich so mühevoll erkämpft hatte.
Der Vormittag verging, und als der Nachmittag anbrach und sie Stephanos zurück erwartete, wurde Neaira etwas leichter ums Herz. Thratta hatte recht behalten.
Weshalb hätte sich der begehrte Phrynion um ihr kleines langweiliges Leben scheren sollen. Die große Neaira war verloschen, und es war gut so! Sie wollte Thratta gerade anweisen eine Mahlzeit für sie zu bereiten, als sie Kokkalines Aufschrei auf dem Hof hörte, begleitet von einem lauten Poltern.
„Das wird wieder einmal Proxenos gewesen sein, dieses gemeine Ungeheuer“, sagte Thratta
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