Der Gesang des Satyrn
verärgert und wollte aufstehen, um Kokkaline zur Hilfe zu eilen. Doch Neaira sah sich schon nach einem Versteck um. Es war nicht Proxenos, dieses Mal nicht! „Thratta, sie kommen, um mich zu holen.“
„Ich glaube nicht, Herrin“, wollte die Sklavin einwenden, doch Neaira gab ihr ein Zeichen still zu sein.
Sie konnte Schritte hören, und es waren die Schritte von harten Sandalen, schwere Männerschritte. „Das ist nicht Proxenos“, flüsterte Neaira so leise wie möglich. „Nimm Phano und versteck dich hinter der Kline. Sorge dafür, dass sie ruhig ist. Ich werde mit ihnen gehen.“
„Herrin“, wimmerte die Sklavin, doch Neaira gab ihr mit einem Wink zu verstehen ruhig zu sein. Dann schob sie Thratta hinter die Kline und warf ein paar Tücher über die Lehne, sodass es nachlässig und zufällig aussah. Kurz darauf waren die Schritte vor ihrer Tür angelangt. Neaira riss die Tür auf, ehe dagegen gehämmert werden konnte und Phano zu schreien begann. Sie blickte in die Gesichter von drei jungen Männern, die den schwarzen Mantel der Stadtwachen trugen. „Wer schickt euch?“ Als ob sie es nicht gewusst hätte. Aber das Wissen darum wäre einem Schuldeingeständnis gleichgekommen.
„Das weißt du sehr genau! Du hast dem Herrn Phrynion wertvolle Gegenstände gestohlen und dich unerlaubt aus seinem Haus entfernt.“
„Ich bin Metökin ... ich gehöre Phrynion nicht.“
„Das wird sich herausstellen“, konterte einer der jungen Männer, ein gutaussehender Bursche mit kräftigen Armen und Muskeln. „Müssen wir dich zwingen oder ziehst du es vor freiwillig mitzukommen?“
Neaira trat aus ihrem Raum und schloss die Tür hinter sich. Alles in ihr wehrte sich dagegen mit diesen Männern zu gehen, jetzt da sie Gewissheit hatte, dass Phrynion noch immer an sie dachte. Aber sie wusste, dass sie bereit waren Gewalt anzuwenden, wenn sie sich bockig gab. „Da ich nichts zu befürchten habe, werde ich mit euch gehen. Mein Herr Stephanos wird Phrynion vor Gericht verklagen, sodass ihn das hier teuer zu stehen kommt.“
Die Stadtwachen ließen sich nicht auf ein Gespräch mit ihr ein und nahmen sie stattdessen in ihre Mitte. Neaira folgte ihnen mit zitternden Knien und einem schalen Gefühl im Bauch. Als sie in den Hof traten, entdeckte sie Kokkaline, die auf dem Boden kauerte und sich die blutende Stirn hielt. „Bleib ganz ruhig, Kokkaline. Sag Stephanos, dass sie mich ins Haus des Phrynion verschleppt haben.“
Die Sklavin wagte zwar nicht sich zu bewegen, nickte jedoch. Als sie aus dem Haus traten, kamen ihnen Proxenos und Ariston entgegen, die gerade von ihrem Lehrer zurückkehrten. Der jüngere Bruder sah verunsichert von Neaira zu den Männern, doch Proxenos grinste gehässig. Neaira beugte sich im Vorbeigehen zu ihm hin.
„Möge Zeus einen Blitz auf dich schleudern, du miese kleine Kröte!“
Die Stadtwachen führten Neaira aus dem Hof, die Straße des Flüsternden Hermes entlang, an deren Ende ein vierter Mann wartete, der Pferde am Zügel hielt. Einige Nachbarn beobachteten verstohlen das Geschehen, konnten es jedoch nicht deuten und begannen zu tuscheln. Neaira wurde von einem der Männer auf ein Pferd gehoben als wäre sie eine Kriegsbeute. Für alle Augen ersichtlich und ohne große Eile ritten sie mit ihr durch Athen. Neaira meinte, dass sie sogar Umwege nahmen, damit auch wirklich ganz Athen sah, was vor sich ging. Phrynion, das hast du dir sehr klug ausgedacht , ging ihr durch den Kopf. Wie hatte sie glauben können, dass es ihm reichen würde sie zu verschleppen, ohne Aufsehen zu erregen. Er war Phrynion, ein Diener des Dionysos und seiner Scharen, die nichts von Mäßigung hielten und taten, was sie wollten.
Neaira schluckte, als Phrynions großes Haus am Fuße der Akropolis in Sicht kam. „Wenig hat sich verändert“, sagte sie mehr zu sich selbst als zu dem Soldaten. Einer von ihnen wollte ihren Arm packen. „Ich kann sehr gut alleine laufen“, fuhr sie den Mann an, der mit den Schultern zuckte und hinter ihr blieb.
Der Garten sah aus wie früher, gepflegt, mit blühenden Sträuchern, und das Haus schien sie willkommen zu heißen und mit schmeichelnden Rufen zu locken. Nur einige Sklaven sahen von ihrer Arbeit auf als Neaira an ihnen vorüberging und die Türschwelle zum Haus überschritt.
Der Geruch erkalteter Asche und sauren Weines stieg ihr wie eine Mahnung der Götter in die Nase, und die Erinnerung an all die demütigenden Dinge, die Phrynion ihr angetan hatte, brach wie ein
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