Der Gesang des Satyrn
Freundlichkeit blenden. Eifrig nickte er zum Zeichen seines Einverständnisses. „Der Herr Stephanos hat vorgeschlagen, sich im Tempel der Pallas Athene zu treffen.“
Neaira, die das Gespräch stumm mit angehört hatte, meinte, dass alle Kraft aus ihren Gliedern wich. Nicht im Tempel der Athene , dachte sie mit einem Anflug von Verzweiflung. Ach, Stephanos ... siehst du denn nicht, dass die Göttin mir nicht verziehen hat? Wieder bin ich nach dem Besuch ihres Tempels in eine schlimme Lage geraten. Warum kannst du das nicht erkennen? Sie wagte jedoch nicht, eine Beschwerde vorzubringen. Obwohl es um sie ging, war es Frauen verboten, sich selbst zu verteidigen. Ihr Schicksal hing nun ganz allein von Stephanos Geschick ab.
Der Vermittler erschien erneut am Abend und teilte Phrynion mit, wen Stephanos für sich als Schiedsmann gewählt hatte. Neaira kannte den Namen des Mannes nicht, doch hegte sie kaum noch Hoffnung, dass er schlauer war, als derjenige, den Stephanos als Vermittler gewählt hatte.
Sie wunderte sich nicht, dass Phrynion Chabrias für sich hatte gewinnen können. Dieser Umstand ließ sie noch mutloser werden. Der dritte Schiedsmann schien ein Mann zu sein, den sowohl Stephanos als auch Phrynion kannten und der in dieser Sache keiner der beiden Streitparteien zugeneigt war.
Als der Vermittler endlich fort war, verschränkte Phrynion die Hände hinter dem Rücken und grinste herausfordernd. „Wuff“, ahmte er den arglosen Mann nach, was Neairas Beherrschung an ihre Grenzen brachte.
Sie schleuderte ihre Weinschale nach ihm und verkroch sich für den Rest des Abends in den Frauengemächern.
Das Treffen wurde für den nächsten Tag am frühen Mittag vereinbart. Einmal mehr verbrachte Neaira eine unruhige Nacht, wissend, dass am nächsten Tag über ihr Schicksal entschieden würde. Sie ließ sich nicht blicken, als Phrynion das Haus verließ. Ohnehin wäre nichts was sie hätte sagen können ins Gewicht gefallen. Fast verzweifelte Neaira ob der Verdammung zur Untätigkeit, die ihr gesamtes Leben ausgemacht hatte, und verbrachte den Tag damit zu viel Wein zu trinken. Als sie bemerkte, wie selbstverständlich sie Phrynions Wein trank und sich auf seinen teuren Polstern räkelte, zwang sich Neaira dazu, den Rest des Tages in unbequemer Haltung sitzend zu verbringen.
Erst am frühen Abend vernahm sie Phrynions Schritte.
Neaira straffte die Schultern und setzte sich aufrecht auf ihre Kline. Sie schloss die Augen, als sie hörte, wie Phrynion durch die Vorhalle des Androns lief. Bitte, Aphrodite ... hilf mir ein letztes Mal , flehte sie die Göttin an und hoffte, dass wenigstens Aphrodite ihr das Buhlen um Athenes Gunst nicht übel genommen hatte. Kurz darauf stand Phrynion zwischen den Säulen der Vorhalle, machte jedoch keinerlei Anstalten ins Andron zu kommen. Sein verlebtes Gesicht wirkte angespannt. Eine Weile sahen sie sich einfach an, bemüht die Gedanken des anderen zu erraten. Zumindest Neaira konnte aus Phrynions Blicken nichts lesen. War sie frei? Konnte sie zu Stephanos zurückkehren ... oder hatte Stephanos sie Phrynion überlassen? Phrynion schien den Moment ihrer Angst und Unsicherheit auszukosten, was sie innerlich noch mehr gegen ihn aufbrachte. „Stephanos und ich haben uns verpflichtet den Schiedsspruch anzunehmen, wie immer er auch ausfallen mag“, begann er zu sprechen.
Neaira funkelte ihn angriffslustig an, um ihre Unsicherheit zu verbergen. „Es ist also eine Entscheidung getroffen worden?“
Nickend kam er zu ihr. „Es ist entschieden worden, dass du Metökin bist.“
Die Last eines ganzen Lebens fiel von Neaira ab. Sie dankte Aphrodite für ihre Gunst. Stephanos hatte sie verteidigt. Sie hatte ihn unterschätzt. „Ich bin frei“, sagte sie mit dem Anflug eines Lächelns. Phrynions Mundwinkel hoben sich ein Stück weit. Neaira erkannte ihren Fehler. Er hatte auf genau diesen Augenblick gewartet. „Es steht noch immer der Preis der Gegenstände aus, die du mir gestohlen hast. Stephanos kann ihn nicht aufbringen, doch ich habe ein Recht auf Rückgabe. In meiner Großzügigkeit habe ich mit Stephanos jedoch eine Übereinkunft getroffen, welche diese Schulden regelt.“
„Was für eine Übereinkunft?“, flüsterte Neaira.
„Du wirst abwechselnd bei mir und bei Stephanos leben und uns beiden deine Zuneigung schenken.“ Wie um sie zu demütigen, fügte er hinzu: „Stephanos selbst hat mir diesen Vorschlag unterbreitet.“
Sie sah die Genüsslichkeit seiner Rache in
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