Der Gesang des Satyrn
mehr wichtig ... ich habe noch jede Schande und Demütigung in meinem Leben überstanden.
Aber ich werde Phrynion seinen Sieg bitter schmecken lassen. Es ist, wie Nikarete einst sagte. Der Hass hält uns gesund und lässt uns unser Schicksal ertragen.“
Neaira ließ Thratta und Kokkaline schwören, dass sie Phano in dem Glauben aufwachsen ließen, Stephanos tote Gattin hätte sie geboren. Für Proxenos und Ariston würde sie sich etwas einfallen lassen. Dann setzte sie sich auf ihr Bett und erinnerte sich daran, wie sie früher versucht hatte sich aus Situationen zu befreien, die ihr über den Kopf zu wachsen schienen. Ich bin ein Vogel , dachte sie müde.
Stephanos wagte in den ersten Nächten nicht, zu ihr zu kommen. Doch Neaira beschloss, kurz bevor sie in Phrynions Haus zurückkehren musste, ihn wieder auf ihrer Kline zu empfangen. Erstens wollte sie Phrynion nicht die Genugtuung geben der Einzige zu sein, der sie besaß, und zweitens hatte sie tatsächlich beschlossen, um ihre Liebe zu Stephanos zu kämpfen. Er war ein schwacher Mann, aber doch der beste von all jenen, die sie in ihrem Leben besessen hatten.
Neaira verabschiedete sich liebevoll und mit einem Lächeln von Stephanos, als er sie an Phrynion übergab. Sie achtete darauf, dass Phrynion diese Gesten der Zuneigung sah und verspürte Genugtuung, als sie einen Augenblick lang den Unmut in seinem verlebtem Gesicht erkannte. Bisher hatte Phrynion mit ihr gespielt, jetzt – so schwor sie sich – würde sie die Herausforderung annehmen. Sie empfing Phrynion ohne Jammern, verbarg die Leidenschaft, die seine Berührungen noch immer in ihr weckte, und überließ ihm ihren Körper; aber sie brachte ihm nicht eine einzige Geste der Zuneigung entgegen. Das machte ihn wütend, da er die Zärtlichkeiten zwischen ihr und Stephanos gesehen hatte.
„Du glaubst, gegen mich ankämpfen zu können, Neaira“ sagte er aufgebracht, nachdem sie sich von ihm abwandte, als er neben ihr auf der Kline lag. „Aber ich warne dich, ich bekomme immer, was ich begehre, und ich weiß, dass du mich willst. Denk an Hylas, deinen kleinen Geliebten und was aus ihm geworden ist.“ Er kostete den Moment aus, bevor er weitersprach. „Im letzten Sommer starb er bei der Feldarbeit, brach zusammen und stand nicht mehr auf. Er hätte es besser haben können, aber er musste sich ja in dich verlieben!“
Neaira antwortete ihm nicht. Stattdessen schloss sie die Augen und sandte ein stummes Gebet für Hylas zu den Göttern des Olymp. Sie fühlte sich hilflos in ihrem Hass auf Phrynion und der ihr unerklärlichen Anziehung, die er noch immer auf sie ausübte ... und dann war da noch Stephanos, um dessen schwache Liebe sie kämpfte. Sie würde diesen winzigen Funken Hoffnung nicht von sinnlosen und schlechten Leidenschaften ersticken lassen.
Sollte Phrynion toben und sie schikanieren, wo es nur ging, aber dieses eine Mal würde er nicht bekommen, wonach es ihm verlangte.
Auf diese Weise verging ein halber Jahresumlauf, in dem einerseits Neaira Phrynion jegliche Kälte entgegenbrachte, zu welcher sie fähig war und Phrynion andererseits dafür sorgte, dass sie wieder als das in Athen bekannt wurde, was sie für ihn war – seine Hetäre. Er führte sie ins Theater, in die Tempel, ins Odeion und zeigte sich mit ihr in den Straßen der Polis. Scheinbar großzügig beschenkte er Neaira mit Schmuck und edlen Chitonen, die sie tragen musste, wenn sie in seinem Haus lebte. Nun konnte sie wieder alles haben, was sie begehrte, und obwohl es sie ärgerte, fühlten sich Schmuck und edle Gewänder schnell wie selbstverständlich auf ihrem Körper an. Phrynion behauptete, er beschenke sie aus Liebe, und dass er wisse, wie sehr ihr Herz schöne Dinge brauchte, um glücklich zu sein, doch Neaira argwöhnte, dass Phrynion sie schmückte, damit sie für alle Augen als Hetäre erkennbar war. Er verbot ihr auch, ihre kostbare Ausstattung in Stephanos Haus mitzunehmen. Für Neaira war das ein weiterer Beweis, wie sehr Phrynion bemüht war, sie mit Reichtum endgültig von Stephanos fortzulocken. Sie umschlichen sich wie Katzen, doch niemand, der sie zusammen sah, ahnte, welch erbitterter Kampf zwischen Phrynion und ihr im Gange war. Selbst Stephanos in seiner Arglosigkeit glaubte, Neaira habe sich in ihr Schicksal gefügt und eine gewisse Gleichgültigkeit entwickelt. Obwohl es ihm nicht gefiel, sie teilen zu müssen, wusste Neaira, dass er insgeheim erleichtert war, sich sein schlechtes Gewissen damit
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