Der Gesang des Satyrn
hatte Phrynion Chabrias eingeladen, damit dieser sie beschämte. Aber Phrynion war viel zu eifersüchtig, als dass er den Mann eingeladen hätte, der versucht hatte, sie von ihm fortzulocken. Würde er mich auch heute noch haben wollen? , drängte sich ihr die Frage unvermittelt auf. Neaira richtete ihre Augen auf den von Fackeln erleuchteten Kreis, in den jetzt der Redner Philetairos trat, mit erhobenen Händen. Er wurde mit Beifall vom Publikum begrüßt. Vielleicht würden sie sich tatsächlich nur eine Komödie anschauen. Als der Lärm sich legte, begann Philetairos, der für seine spitze Zunge und ironischen Reden bekannt war, recht harmlos mit einer humorvollen Rede über das Altern und hielt bereits nach den ersten Sätzen seine Zuhörer gefangen. Die Herren mit ihren Gefährtinnen lachten, als Philetairos mit zotigen Gesten von Seen sprach, in denen man morgens zu erwachen glaubte, weil man das Wasser nicht mehr zu halten konnte oder vom Mann, der sich wünschte sein Glied würde die Härte seines Krückstocks erlangen. Wieder ertönte aus den Zuschauerreihen tosender Beifall. Medusas schrilles Lachen war zwischen all dem Gelächter deutlich herauszuhören; sogar Phrynion lachte laut und forderte Philetairos mit Rufen auf, weiterzusprechen. Obwohl Neaira zotige Scherze nicht ablehnte, empfand sie das Stück als geschmacklos. Sie klatschte aus Höflichkeit, fühlte sich jedoch immer unbehaglicher.
Dann vollzog Philetairos eine kunstvolle Wendung der Thematik und wandte sich den anwesenden Frauen zu.
„Jedoch, meine Herren, ist all dies ja nichts im Vergleich zum Alter der Frau“, hörte Neaira ihn rezitieren. „Wenn sie eine Bürgerin ist und im Haus ihres Gatten vor Blicken verborgen bleibt mag es noch angehen! Was aber ist mit jenen, die uns in der Jugend frisch blühende Begleiterinnen waren und denen es gelang, uns mit einem einzigen Aufschlag der Augen ein Vermögen aus dem Geldbeutel zu schmeicheln?“ Philetairos verfiel in eine Kunstpause und sah sich scheinbar suchend im Zuschauerraum um.
Erwartende Stille legte sich über die Zuhörer. Neaira meinte ihr Herz würde aussetzen. Philetairos wandte sich ihr zu. Spöttisch ruhten seine Blicke auf ihr, dann rief er seinem Publikum zu: „Ja, meine Freunde, wahrlich ich sage euch ... diese zeigen uns die hässlichste Seite des Alters ...
die schönen Hetären, einst von Aphrodite geliebt, dann von ihr fallengelassen wie ein faules Ei! Ihre Namen sind uns wohl bekannt und klingen im Nachhall recht verheißend ... doch was wird aus ihnen, die wir einst mit Lobliedern besungen und mit dem Körper begehrt haben?
Starb nicht Lais beim Geschlechtsverkehr ... sie, die Berühmtheit in ihrem Gewerbe erlangte, ... und sind Isthmias, Neaira und Phila nicht ganz verwittert? Spreizen sie nicht für ein paar Obolen bereitwillig die welken Schenkel, wo sie einst hochnäsig und wählerisch waren?“
Neaira fühlte beim Klang ihres Namens Hitzewellen durch ihren Körper wogen. Hinter ihr erklang Medusas Lachen wie der hässliche Ruf eines Pfaus. Neaira starrte Philetairos an, der sich von ihr abwandte und seine Hände hob, um den Beifall des Publikums zu genießen. Phrynion, du boshafter Mann , dachte sie, um einen gleichmütigen Gesichtsausdruck bemüht. Um sie herum begannen die Herren und Damen zu johlen ob der Deftigkeit der geführten Rede und der kunstvollen Art, wie der Redner sich Neairas Anwesenheit bedient hatte. Sie fühlte, wie Augenpaare zu ihr hinübersahen, Finger auf sie zeigten und Lippen in geneigte Ohren zu flüstern begannen. Zwischen all dem erfüllte tosender Applaus den Zuschauerraum. Vor allem Phrynion konnte nicht laut genug klatschen. Neaira konnte nicht verhindern, dass Röte ihr Gesicht überzog, wagte jedoch nicht den Blick zu senken. Phrynion hatte wieder einmal einen Sieg davontragen können. Mit verschlagenem Lächeln beugte er sich zu ihr hinüber und raunte in ihr Ohr: „Habe ich dir zuviel versprochen, Neaira? Hast du nicht immer davon geträumt berühmt zu sein und deinen Namen in der Kunst wiederzufinden? Es ist dir gelungen!“
Neaira versuchte nicht mehr auf die Reden zu hören, die dort im Licht der Fackeln von Philetairos weitergeführt worden. Nun ließ er sich darüber aus, wie die ehemals schönen Hetären sich darin übertrafen, durch besonders ausgefallene und verabscheuungswürdige Liebespraktiken die Gunst ihrer Gönner zu erhalten. Wie betäubt wandte Neaira sich Phrynion zu und raunte in sein Ohr: „Und trotzdem
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