Der Gesang des Satyrn
Gedanken wieder bei den Festlichkeiten war.
Als der Tag der Anthesteria-Festlichkeiten gekommen war, hätten auch die Götter Neaira nicht davon abhalten können Stephanos zur Agora zu begleiten und Phanos Einzug als Basilinna zu verfolgen; und hätte Athene selbst sich ihr in den Weg gestellt - Neaira wäre über sie hinweggetrampelt wie über eine Ameise. Ganz Athen hatte sich herausgeputzt, in den Straßen waren Blüten gestreut worden, die Stufen der Tempel geschrubbt, bis sie strahlend weiß und blank aussahen. Trotzdem würden sie über die drei Tage des Festes geschlossen bleiben, da die Priester die Umzüge der Betrunkenen fürchteten. Lediglich die Priester des Dionysos hielten ihre Pforten weiter geöffnet, damit die Feiernden den Gott an seinem Fest ehren konnten. Die Athener, Männer wie Frauen, trugen Efeu-und Blütenkränze im Haar und berauschten sich an dem kostenlosen Wein, der ausgeschenkt wurde. Hübsche Jünglinge mit schlanken Körpern und langen Locken waren ausgewählt worden die Satyrn darzustellen, tanzend durch die Straßen zu ziehen und dabei auf Flöten zu spielen.
Ihnen folgten Mädchen, welche die Jünglinge als Mänaden und Nymphen umgarnten. Meist waren es hübsche Sklaven, die für den Umzug ausgewählt wurden, denn das Anthesteria-Fest hob die gewöhnliche Ordnung auf, sodass auch Sklaven die drei Tage ausgelassen feiern durften. Sie alle waren nicht mehr ganz nüchtern. Neaira musste unvermittelt lächeln. Bereits zu Hause hatten die Familien Amphoren mit Wein geöffnet und gemeinsam mit den Sklaven ihres Haushaltes geleert, um Dionysos zu huldigen.
Auch Kokkaline und Thratta, die selten Wein tranken, hatten einen leichten Rausch gehabt als Neaira und Stephanos sich zur Agora aufgemacht hatten.
Neairas Herz schlug schneller als sie Phano entdeckte, die von einer Horde lärmender Jünglinge und Mänaden begleitet wurde. Anscheinend war sie gut auf ihre Aufgaben vorbereitet worden. Ihr Gang zwischen dem ausgelassenen Gefolge war gerade und ihr Gesicht ernst, während sie auf dem öffentlichen Platz den neu gewählten Priesterinnen des Dionysos die heiligen Eide abnahm; nichts und niemand hätte sie aus der Ruhe bringen können. „Sieh sie dir an, Stephanos! Es hat nur ein wenig Glück gebraucht, um sie zur Besinnung zu bringen.“ Neaira konnte ihren Stolz auf die Tochter kaum verbergen, sah sich jedoch misstrauisch um, ob sich in den Gesichtern der Menschen Widerwille zeigte. Sie schwiegen jedoch andächtig, nachdem sie beim Umzug gelärmt und gefeiert hatten.
Stephanos brummte nur leise, aber sein Schweigen verriet den Stolz, den er empfand. Der Tag verging ohne unangenehme Zwischenfälle. Neaira beglückwünschte Phano am Abend innerlich für ihren erhabenen Auftritt als Basilinna . Der zweite Tag würde jedoch der Wichtigste sein, denn er war der Tag der Frauen, an dem die heilige Hochzeit gefeiert wurde.
Neaira konnte es am nächsten Morgen kaum erwarten das Haus zu verlassen und brachte sogar Stephanos, der meist ruhig und gelassen war, zur Verzweiflung. Hastig nahm sie ihm die Schale mit den Oliven und dem Brot fort.
„Phano wird schon längst aufgebrochen sein“, drängte sie ihn immer wieder sich zu beeilen. Stephanos trottete schließlich ohne sein Morgenmahl hinter ihr her und murrte: „Wenn sie dich sehen könnte, Neaira.“
„Nein, Stephanos ... es reicht, wenn ich sie sehe.“ Bei Aphrodite – sie musste darauf achten, nicht in einem dummen Augenblick ihre Gefühle zu verraten.
Während die Männer sich zu Wetttrinken
zusammenfanden und Dionysos huldigten, zogen die ansonsten zurückgezogen lebenden Athenerinnen ausgelassen und singend mit der Basilinna zur Residenz des Archon Basileus . Die Prozession begann am Heiligtum des 614
Dionysos, und Neaira stand in der ersten Reihe als Phano vorüberzog. Wie am Tag zuvor wirkte sie angepasst und ernst bei ihrer Aufgabe. Erleichtert stellte Neaira fest, dass sich keine Spur von Trunkenheit in Phanos Gesicht zeigte, und dass die Farbe ihrer Haut frisch und gesund aussah.
Wie schön ihre Tochter war! Während die Athenerinnen der besten Familien mit Efeukränzen und in weißen Chitonen hinter ihr gingen, sangen die anderen Frauen, welche die Straßen flankierten, Loblieder auf Dionysos und schlossen sich dann dem Zug der Basilinna an. Theogenes würde Phano in seinem Haus als Dionysos erwarten und die heilige Hochzeit verborgen vor allen Augen mit ihr vollziehen. Phano hielt an jeder Herme, die am Straßenrand
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