Der Gesang des Satyrn
unsere.“
„Du verstehst das nicht, Neaira. Wenn ich seiner Drohung nachgebe, gestehe ich Schwäche ein. Apollodoros wird dann immer wieder zu erpresserischen Mitteln greifen.
Ich kann mir ein Zögern nicht erlauben. Es würde sich herumsprechen, und die Auftraggeber würden mir nicht mehr vertrauen und ihre Reden bei Gericht von jemand anderem vortragen lassen.“
Wie konnte ein Mann nur einerseits so nachgiebig und dann wieder so hart sein? Neaira verstand es nicht. „Du hast in den letzten Jahresumläufen mehr als genug Geld verdient! Lass andere doch die Reden führen. Lass uns Phanos Glück genießen und mehr Zeit miteinander verbringen. Wir könnten reisen oder Feste auf dem Land feiern. Wir sind nicht mehr jung, Stephanos ... ist es nicht Zeit für ein wenig Frieden?“
Kurz schien er über ihre Worte nachzudenken. Sein Blick bekam den weichen Zug, den er gehabt hatte, als sie mit ihm nach Athen gekommen war; dann schüttelte er den Kopf. „Ich habe hart für das kämpfen müssen, was ich mir erarbeitet habe ... und ich lasse mich von Apollodoros nicht einschüchtern!“
„Das wird Phanos Leben unwiderruflich zerstören“, flehte Neaira ihn an und konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Wenn sie von einem öffentlichen Ratsschluss als Basilinna abgesetzt wird und Theogenes sie verstößt, wird sie nie wieder einen Gatten finden.
Außerdem wird es ihr das Herz brechen – ihr und Theogenes. Die beiden teilen echte Zuneigung ... wie es einst bei uns war ... vor so langer Zeit.“
Stephanos rang mit sich. Neaira konnte den Kampf in seinem Innern spüren. Ihr Götter, lasst ihn ein Einsehen haben , flehte sie, ohne es zu wagen den Blick zu senken.
Schließlich mühte sich Stephanos ein entschuldigendes Lächeln ab. „Ich kann nicht, Neaira ... es tut mir leid ... für Phano und auch für dich.“
Seine Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht.
Neaira sprang von der Kline auf, warf den Tisch mit dem Abendmahl um und starrte auf die Äpfel, Trauben und Nüsse, die durch das Andron kullerten. Hübsch war es angerichtet, aber es braucht so wenig, es zu zerstören! Dann rannte sie davon, hinauf in ihre Gemächer, wo sie sich schluchzend in Kokkalines Arme warf. Die Sklavin half ihr sich auf ihre Kline zu legen und schenkte ihr einen Kelch verdünnten Wein ein, den Neaira mit zitternden Händen entgegennahm aber nicht trank. „Früher verriet er mich für seinen Aufstieg, heute verrät er mich für Geld! Wann wird das alles endlich aufhören? Ich habe seine Zuneigung verloren, ebenso wie Phano. Einst sah er die Frau in mir und in Phano die Tochter; heute sieht er in mir die Hetäre und in Phano die Tochter seiner Hetäre. Was soll nur aus uns werden, Kokkaline? Was soll aus meiner armen Tochter werden, wenn Theogenes sie verstößt?“
Kokkaline konnte ihrer Herrin keine Antwort geben.
Stattdessen nahm sie Neairas Hand und drückte sie. Neaira sah sie an, und erstmals wurde Kokkaline klar, wie lange sie bereits in Diensten ihrer Herrin stand. Sie erinnerte sich an die junge und willensstarke Frau, die ihre Reize so geschickt eingesetzt hatte, um den Herren Korinths das Geld für ihre Freilassungsurkunde zu entlocken. Kostbaren Schmuck hatte sie getragen und einen aufwendigen Peplos.
Kokkaline dachte an das glänzende Haar und den sinnlichen Mund, der Xenokleides und Hipparchos so mühelos das Geld hatte abschmeicheln können. Nur die Augen Neairas waren noch die gleichen wie damals. Ihre Herrin war eine ansehnliche Frau, doch durch ihr Haar zogen sich graue Strähnen, und die Schminke verdeckte kaum noch die Falten an Stirn und Mundwinkeln. Was sollte nur aus ihrer Herrin werden? Die Zeit der Schmeicheleien war für sie vorbei.
„Verlasse du mich nie Kokkaline“, hörte sie die Herrin bitten. Kokkaline versprach es ihr.
Es verging keine Woche, nachdem Stephanos die Klage auf illegalen Antrag gegen Apollodoros eingebracht hatte, dass Theogenes mit Phano bei Stephanos erschien. Sein Gesicht war bekümmert, als er sie über die Türschwelle schob.
Neaira sah in seinem Gesicht, dass ihm dieser Gang schwergefallen war. Phano verzog keine Miene. Vielleicht hatte sie geweint, vielleicht in seinen Armen gelegen ...
vielleicht hatte er sie getröstet. Neaira wusste, es würde Phanos Geheimnis bleiben. Theogenes bat Stephanos und Neaira, sich für einen kurzen Augenblick allein von Phano verabschieden zu dürfen. Stephanos erlaubte es ihm, und sie ließen beide allein im Andron. Neaira
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