Der Gesang des Satyrn
Willen besiegen.
Sie schickte Kokkaline fort und legte sich auf ihre Kline.
Ich kann es nicht , dachte sie immer wieder und dann: Ich darf es nicht!
Wie Neaira erfuhr, hatten Stephanos und seine Auftraggeber dieses Mal kaum Kosten und Mühen gescheut, um Apollodoros endlich von der politischen Bühne Athens verschwinden zu lassen. So hatte Stephanos einige in Athen unbekannte Metöken dafür bezahlt, dass sie sich als Sklaven verkleideten und seine Behauptung bezeugten, Apollodoros hätte außerhalb der Stadtmauern Athens auf einem seiner Landgüter eine Sklavin geschlagen, die daraufhin gestorben wäre. Jene Sklavin war jedoch Stephanos Eigentum, und Apollodoros hätte seine Tat aus Rache an Stephanos begangen. Er verlangte nicht weniger, als dass Apollodoros, den er einen hinterhältigen Mörder nannte, seine Bürgerrechte aberkannt wurden und das Gericht ihn aus Athen verbannte. Doch so erfolgreich, wie Stephanos darin gewesen war eine Ablehnung von Apollodoros Kriegsfond zu erwirken, so erfolglos war er in dem Versuch, seinem Gegner einen Mord anzuhängen. Es stellte sich heraus, dass es gar keine tote Sklavin gab.
Stephanos hatte an alles gedacht, indem er seine Zeugen bestach und verkleidete. Es waren jene seltsamen Gestalten, die Neaira einen Mondumlauf zuvor in ihrem Haus beobachtet hatte. Jedoch war Stephanos nicht davon ausgegangen, dass Apollodoros oder das Gericht so weit gehen würden, den Namen einer unwichtigen Sklavin zu verlangen und Zeugen von Stephanos Landgut zu befragen. Immerhin ging es bei der Klage weniger um das Leid der Sklavin als um Apollodoros Handgreiflichkeiten gegenüber Stephanos Besitz.
Stephanos wurde der Lüge und falschen Klageerhebung überführt und mit Schmährufen von der Agora gejagt. Die Herren der Polis bewarfen ihn mit faulen Eiern und matschigem Gemüse, allen voran Apollodoros.
Als er im Andron erschien, erschrak Neaira über seinen Anblick, und musste sich beherrschen nicht aufzuschreien.
In seinem Haar hingen Kohlblätter und die Reste von Eierschalen, sein Chiton war mit gelblich grünen Flecken übersät. Irgendetwas hatte ihn an der Nase getroffen, und jetzt zog sich ein langer Kratzer von der Nase bis zur Wange. Die Sklaven, die herbeigelaufen kamen, blieben neben Neaira stehen und hielten gemeinsam mit ihr die Luft an. Der süßliche Geruch vergammelten Obstes und der ekelerregende Gestank fauler Eier erfüllten das Andron. Stephanos stank ebenso abscheulich, wie es seine hinterhältige Tat in den Augen der Athener getan hatte.
Neaira wagte ihn nicht anzusprechen, als er stumm an ihr vorbei ging und die Sklaven anherrschte, das Louterion mit frischem Wasser zu befüllen. Seine schmähliche Niederlage belastete ihn so sehr, dass er sich zwei Tage lang in seinen Räumen einschloss und niemanden sehen wollte – nicht einmal Neaira.
Erst am dritten Tag erlaubte er ihr, seine Räume wieder zu betreten. Neaira fand ihn wie üblich auf seinem Stuhl mit der geschwungenen Lehne über ein paar Papyri gebeugt.
„Ich werde einen neuen Grund finden, ihn anzuklagen“, stellte Stephanos mit Überzeugung klar als Neaira ihre Hand auf seine Schulter legte.
„Stephanos ... vergiss ihn doch. Du hast einmal gewonnen, jetzt hat er gesiegt. Lass es dabei bewenden.
Schüre nicht noch mehr Hass und Zorn zwischen euch.“
Er sah auf, und das erste Mal erkannte Neaira auch die Müdigkeit des Alters in seinen Zügen. Als Neaira ihn so sah, fragte sie sich was geschehen würde, falls er starb.
Sicherlich würden seine Söhne ihr nicht viel vom gemeinsamen Leben mit Stephanos lassen. Aber was würden sie mit Phano tun? Proxenos und Ariston hatten bisher die Lügen um Phanos Abstammung unterstützt, da sie eitel und hochmütig waren und sich nicht zu einer Halbschwester bekennen mochten, deren Mutter eine Hetäre war. Solange sie nicht für Phano aufkommen mussten, spielten sie das Spiel weiter mit. Doch sobald es darum ging für das Auskommen weiblicher Familienmitglieder zu sorgen und sie in ihrem Haushalt aufzunehmen, würden sie Phano entweder fortjagen oder unter schlimmsten Bedingungen einsperren, damit die Welt sie vergaß. Oder Proxenos macht seine Drohung wahr und tötet sie!
Wem würde es auffallen, wenn eine zurückgezogen lebende Frau an einer Krankheit starb ... wer würde Fragen stellen?
Neaira fand, dass es trotz Stephanos Laune an der Zeit war, mit ihm über diese Dinge zu sprechen. „Du siehst nicht gesund aus, Stephanos. Warum reisen wir nicht für einen
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