Der Gesang des Satyrn
dabei die Schriften zu suchen, die er meinte, auf der Reise zu brauchen, während er mit ihr sprach. Seine Gedanken waren weit fort, bei Philipp und der Möglichkeit seinen Ruf wieder herzustellen. „Ich habe dafür gesorgt, dass ihr nicht in Proxenos Haus leben müsst während meiner Abwesenheit, sondern Proxenos seine eigene Familie zu Ariston schickt und dafür hier wohnt.
Was sollte euch schon geschehen? Ich werde nicht lange fort sein.“
Wie er dort stand, wusste Neaira, dass sie nichts gegen seine Entscheidung tun konnte. Also schwieg sie und schluckte Angst und Zorn hinunter.
Am Tag von Stephanos Abreise fand sich Proxenos früh morgens im Haus ein und tat sich wichtig. Trotzdem hielt er sich so lange zurück, bis sein Vater das Haus verlassen hatte. Sodann strich er sich über seinen Bart und wies Neaira auf angeblichen Schmutz in den Ecken hin und auf den angeblich ungepflegten Garten. Proxenos schikanierte sie, wo er nur konnte und forderte von Neaira, die Sklaven das Haus gründlich reinigen und den Garten säubern zu lassen. Neaira gehorchte mit zusammengebissenen Zähnen, jagte die Sklaven hin und her, beklagte sich jedoch nicht. Stephanos war weit fort und konnte ihr nicht beistehen. Einmal mehr wurde sie an ihre rechtelose Lage als Frau erinnert. S elbst wenn ich seine Mutter wäre, müsste er nicht viel besser mit mir umgehen , dachte Neaira zerknirscht als Proxenos mit prüfendem Blick Haus und Garten durchmaß. Dies war jedoch erst der Anfang von Proxenos persönlicher Rache. Er verbot Neaira Wein zu trinken oder ihre Gemächer zu verlassen, wenn kein dringliches Anliegen vorlag, und wartete scheinbar nur darauf, dass sie gegen ihn aufbegehrte. Neaira war klug genug es nicht zu tun. Das Haus zu verlassen war undenkbar, und selbst einen Schritt in den Garten wagte sie nicht, ohne Erlaubnis zu tun. Neaira verfluchte Proxenos, wenn sie in ihren Frauengemächern saß, und wünschte ihm ewige Qualen im Tartaros nach seinem Tod.
Eines Abends lud Proxenos Freunde ein und erschien angetrunken mit ihnen in Neairas Gemächern. Sie starrten sie von oben bis unten an, und einer rülpste laut, während ein anderer sich zwischen den Zähnen pulte.
„Das ist Neaira, die Hetäre meines Vaters, über die schon mehr Männer gerutscht sind, als es in Athen gibt!“
Neaira, die gerade hatte zu Bett gehen wollen, zog sich ihr Laken fest um den Körper, während Proxenos sie den Herren namentlich vorstellte. Der Name einer anständigen Frau wurde nie in Anwesenheit anderer Männer ausgesprochen, geschweige denn, dass ein Mann die Räume einer Frau betrat, außer er war ihr Vater, Sohn, Bruder oder Gatte. Neaira war zu alt, als dass sie die jungen Männer mit ihrem Körper hätte reizen können. Doch Proxenos hatte einen anderen Weg gefunden, sie zu demütigen. Früher wäre Neaira aufgestanden und hätte die Männer mit ihrem Anblick und ein paar frechen Worten betört. Doch nun grinsten sie und begafften die alternde Hetäre verächtlich.
Neaira machte es nichts aus, wenn sie neben Stephanos bei seinen Freunden saß. Diese wussten um die Achtung, die Stephanos ihr entgegenbrachte. Doch Proxenos wollte den Herren und vor allem ihr nur eines klarmachen – dass sie geringer, rechteloser und weniger wert war als ein Hund.
Er hätte sicherlich weitere Schikanen gefunden, wenn nicht nach zwei Wochen Thratta zu Neaira gekommen wäre und ihr mitgeteilt hätte, dass Phano krank sei.
„Was fehlt ihr?“, fragte Neaira, der das Herz stehen zu bleiben schien. Die Sklavin senkte den Blick. „Ich glaube es ist ihre Trunksucht, Herrin. Sie ist nach dem Aufstehen zusammengebrochen. Ich habe sie mit Kokkaline auf ihre Schlafkline gelegt. Es geht ihr schon wieder besser, aber vielleicht sollte ein Arzt nach ihr sehen.“
Neaira ging zu ihrem Stiefsohn und bat ihn, für Phano einen Arzt kommen zu lassen. Proxenos hatte es sich nicht nehmen lassen Stephanos Räume zu beziehen und wühlte in den Schriftstücken seines Vaters, als Neaira den Raum betrat. Sie zwang sich so zu tun, als bemerke sie es nicht.
„Phano ist krank, sie braucht einen Arzt.“
Proxenos sah auf und grinste. Der Tag schien ihm um einiges erfreulicher geworden zu sein. Ganz offensichtlich hatte er nicht vor, einen Arzt kommen zu lassen. Deshalb fügte Neaira schnell hinzu: „Natürlich weiß ich, dass Frauen an Krankheiten sterben. Aber es ist immer eine unangenehme Sache, wenn dies unter Abwesenheit ihres Vormunds geschieht. Stephanos würde Fragen
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