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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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Ehrfurcht im Mund geführt, aber sie achtet mich gering! Neaira wusste nicht, weshalb ihr diese unsinnigen Gedanken durch den Kopf gingen. Kokkaline tat nichts, sie zu verärgern. Sie packte flink und geschickt Neairas Bündel. Neaira ärgerten Kokkalines Leichtfüßigkeit und die Art, wie sie sich das kurze Haar hinter das Ohr strich. Wie lange war es her, seit sie selbst mit Metaneira im Hof gesessen und ihr Mädchengesicht in die Sonne gehalten hatte. Das erste Mal in ihrem Leben fühlte Neaira sich alt.
    Verglichen mit Kokkaline war sie ein verbrauchtes Nutztier. All jene, die über sie hergefallen waren, hatten sie aufgebraucht. Ohne etwas von ihren Gefühlen zu verraten, wies Neaira ihre neue Sklavin an sich zu beeilen.
    Eukrates war ein untersetzter Mann mit hektischen Augen. Ohne großen Kennerblick begutachtete er Neaira, wobei seine Musterung kaum einen Wimpernschlag andauerte. Dann umfasste er ihr Handgelenk und führte sie in den bereitstehenden Wagen auf den Hof, wie man es mit einer Braut an ihrem Hochzeitstag getan hätte. Erneut zog sie ihren Schleier vor das Gesicht, in der Hoffnung, dass niemand sie erkennen würde, während Eukrates mit ihr durch die Straßen Korinths fuhr. Die Erinnerungen quälten sie auf der Fahrt durch die Polis. Dort hinten war das Odeion ... und dahinter die kleine Gasse, durch die sie Arm in Arm mit Simos geschlendert war - in warmen Nächten, die süß nach Blüten und Wein geduftet hatten. Er hatte sie angesehen, und die Erfüllung aller ihrer Träume hatte in jenen Nächten in Simos Augen gelegen.
    Neaira wurde aus ihren Erinnerungen geholt, als der Wagen über einen Stein holperte. Sie hörte Eukrates fluchen und schloss die Augen, um nicht laut zu schreien.
    Dass Neaira alles andere als eine Braut war, machte Eukrates ihr klar, als er sie in die Frauengemächer seines Hauses führte. Nicht schnell genug konnte er ihr den Chiton abstreifen, wobei er mit zitternden Händen an ihrem Gürtel zog und ungehalten wurde, als der Knoten sich nicht lösen wollte. „Ich habe gehört, dass du berühmt bist und nur ausgewählte Gesellschaft genossen hast“, gab er ihr mit einem Blick, der zwischen Lüsternheit und Ehrfurcht schwankte, zu verstehen. Neaira sah in an - sein schmales Gesicht mit den ständig feuchten Lippen.
    Eukrates, das Fischmaul , dachte sie spöttisch, während er sie auf das Lager zog. Zwar besaß Eukrates nicht die Vorlieben Timanoridas. Doch sie meinte, dass der schmale Eukrates wie ein Fisch auf dem Trockenen zappelte, während er auf ihr lag. Seine feuchten Lippen ekelten sie an. Ja, sie hatte die beste Gesellschaft genossen, und ganz sicher hatte Eukrates bisher nicht viel mehr als die Gesellschaft einfacher Straßenhuren gekannt. Sicher konnte er sein Glück kaum fassen, auf ihr zu liegen. Nachdem er fertig war, empörte sich Eukrates über Neairas zerschundenen Rücken und rügte sie dafür.
    „Das musst du Timanoridas sagen, nicht mir. Ich bin nur eine Sklavin – was soll ich dagegen tun.“
    Er sah sie an als wäre sie dumm. „Du musst freundlicher und nicht so störrisch sein, dann setzt es auch keine Schläge.“ Am Abend schickte er Kokkaline zu ihr, damit sie die Striemen auf Neairas Rücken mit einer Salbe versorgte. Als die Sklavin die Striemen vorsichtig betupfte, schämte sich Neaira, obwohl sie es als unsinnig empfand.
    Sie trauerte der Gesellschaft Simos nach, dessen verschwenderische Großzügigkeit ihr zur Gewohnheit geworden war. In Athen hatte sie auf den größten und erlesensten Symposien Athene ihren Ruhm streitig gemacht. Neaira scheuchte Kokkaline ungehalten fort, sobald sie mit ihrer Arbeit fertig war.
    Als sie nach einer Woche in Eukrates Haus wieder an Timanoridas zurückgereicht wurde, bat das Fischmaul seinen Freund, fortan die Bestrafung des beiderseitigen Eigentums ohne erkennbare Spuren vorzunehmen. Dies war der Augenblick, in welchem Neaira, die sich bis dahin in Selbstmitleid und Trauer verloren hatte, aus ihrer Starre erwachte. Mit unbändiger Wut erinnerte sie sich daran, wie nah sie der Freiheit bereits gewesen war, bevor Nikarete sie verkauft hatte. Als Timanoridas sie am nächsten Morgen auf der Kline zurückließ, hatte Neaira beschlossen sich einem neuen Kampf zu stellen und rief herrisch nach Kokkaline, die vor ihrer Tür geschlafen hatte. „Hör mir gut zu, Kokkaline, du musst etwas für mich tun!“
    Erstmals wagte Kokkaline ihre Herrin anzusehen, da sie die ungewohnte Eindringlichkeit in deren Stimme

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