Der Gesang des Satyrn
Frauengemächern. Die einzige Gelegenheit das Haus zu verlassen bestand für sie darin, von einem ihrer Herren zum nächsten gereicht zu werden.
Manchmal überlegte sie in ihrer Verzweiflung vom Wagen zu springen und fortzulaufen ... aber wohin hätte sie gehen sollen, außer in ein Hurenhaus. Außerdem wäre es für einen Mann wie Timanoridas nicht schwer gewesen, sie in Korinth zu finden und zurück in sein Haus zu schleppen.
Sie hatte kein Geld, noch nicht einmal die Kleidung an ihrem Leib gehörte ihr. Also ertrug sie ihr Schicksal, während tief in ihr Gefühle des Hasses, der Wut und der Verzweiflung wüteten. Timanoridas Grausamkeit fürchtete sie, und vor Eukrates ekelte es sie. Doch das Schlimmste waren die eintönigen Tagesabläufe. Neaira starrte aus dem Fenster, sobald die Sonne unterging, und wurde von einer für Kokkaline unerklärlichen Rastlosigkeit getrieben. „Wie halten die ehrbaren Frauen es nur aus so zu leben? Sie haben keinerlei Abwechslung und kaum Gesellschaft. Ich könnte auf männliche Gesellschaft verzichten, doch was bleibt einer Frau schon, wenn sie nicht eingeschlossen als Gattin im Haus eines Mannes dahinwelken will.“
Kokkaline wählte ihre Antworten mit Bedacht, versuchte Neaira mit Brettspielen oder dem Besuch im Badehaus abzulenken. Doch je mehr Zeit verging, desto unzufriedener und unruhiger wurde Neaira, was sich nicht selten in einem Wutanfall äußerte. Neaira tat es leid die Beherrschung zu verlieren, doch sie glaubte verrückt werden zu müssen je länger sie dieses Leben führte, in dem der fischmäulige Eukrates und der brutale Timanoridas ungeliebte Lebensmittelpunkte für sie waren. „Ich war eine Gefangene in Nikaretes Haus, und ich habe dieses Leben gehasst. Noch immer hasse ich es! Aber ich weiß jetzt, was die Harpyie meinte, als sie mir sagte, dass ich ihrer noch gedenken würde.“
Das Schlimmste waren die Nächte, wenn Timanoridas oder Eukrates bei ihr waren. Dann war sie mürrisch und schlecht gelaunt, wenn Kokkaline ihr das Morgenmahl brachte.
Mittlerweile war ein ganzer Jahresumlauf vergangen.
Kokkaline hatte die Launen ihrer Herrin kennengelernt und wusste, wann es besser war, ihr aus dem Weg zu gehen.
Deshalb war sie beunruhigt, als überraschend Timanoridas in den Frauengemächern erschien, während die Sonne noch hoch am Himmel stand. Er schien zermürbt, während er Kokkaline mit einem einzigen Wink in die Ecke des Zimmers scheuchte und sich vor Neaira aufbaute. An seiner angespannten Haltung konnte Kokkaline erkennen, dass etwas nicht stimmte.
„Es hat sich etwas geändert. Für mich ist es Zeit, mir eine Frau in mein Haus zu holen. Ich habe eine Bürgertochter aus Korinth gewählt, aus einer guten Familie ... ein sehr anständiges junges Mädchen, wie mir die Familie versichert hat.“
Kokkaline ahnte, dass ihre Herrin seiner neuen Ehefrau würde weichen müssen. Aber Timanoridas schien nicht besonders glücklich darüber zu sein. „Du wirst mir fehlen, Neaira! Eukrates würde dich gerne behalten, aber er kann mir die Auslöse nicht zahlen, die ich für dich würde haben wollen.“
Kokkaline hielt die Luft an und wartete auf die Antwort ihrer Herrin. Würde sie aufspringen und Timanoridas sagen, wie sehr sie ihn verabscheute? Nein, die Herrin war nicht dumm!
Timanoridas verschränkte die Arme hinter dem Rücken und wippte von einem Fuß auf den anderen. „Du hast uns erfreut in dem Jahr, in dem du bei uns warst, und es würde uns schmerzen dich an ein Haus wie das von Nikarete zu verkaufen ... zumal du auch zu alt dafür bist.“ Die Worte schienen ihm im Halse stecken zu bleiben, so ungern sprach er sie aus. „Eukrates und ich möchten dir anzubieten, dich von uns freizukaufen, wenn du zweitausend Obolen aufbringen kannst. Das sind tausend Obolen weniger, als wir für dich bezahlt haben – und du musst Korinth verlassen.“ Er hüstelte gekünstelt. „Die Familie meiner zukünftigen Gattin wünscht es so, da sie so ... so unschuldig ist und ihr Gemüt geschont werden soll.“
Neaira nickte, was Kokkaline mit einiger Verwunderung beobachtete. Wie schaffte die Herrin es, ihre Gefühle zu verbergen?
„Du hast einen Mondumlauf Zeit. Sonst sind wir gezwungen, dich anderweitig zu verkaufen ... das würde uns sehr unglücklich machen.“
Er brauchte die Obolen für seine Hochzeit und war in der prekären Lage, seine Sklavin gewinnbringend loszuwerden. Von keinem Hurenhaus hätte er zweitausend Obolen für sie erhalten, denn die Herrin
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