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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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überraschte.
    „Ich werde dem Herrn sagen, dass du auf der Agora einen neuen Schleier für mich kaufen sollst. Das wirst du tun, aber vorher gehst du in die Gasse der Tuchweber zum Haus von Nikarete. Dort verkehrt ein gewisser Simos aus Thessalien. Du musst ihm eine Nachricht von mir bringen.“
    Kokkalines blaue Augen wurden rund wie die Räder eines Eselskarren, als Neaira den Namen Nikaretes nannte.
    Es zwickte ihr in der Hand, dem Mädchen eine Ohrfeige zu verpassen.
    „Herrin, ich habe vom Haus der Nikarete gehört. Es ist eines der Häuser, in denen die Herren abends verkehren!“
    Neaira ärgerte Kokkalines Entsetzen über das Haus Nikaretes. „Du gehst dorthin und wirst es weder dem Herrn Timanoridas noch dem Herrn Eukrates erzählen.
    Sag Nikarete, dass du eine Nachricht für den Herrn Simos hast, die aus Athen stammt. Wenn sie dich abweisen will oder der Herr nicht dort ist, bleib stur und warte, bis er kommt. Sag Simos, dass Neaira dich geschickt hat.“
    Kokkalines Augen schienen immer größer zu werden.
    „Simos soll zu Timanoridas gehen und ihm ein Angebot für den Kauf Neairas unterbreiten; und versprich Simos, dass ihn dieser Kauf nicht mehr als ein Talent kosten wird!“ Neaira biss sich auf die Lippen. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Simos ohne zu überlegen sechs Talente für sie bezahlt hätte. Jetzt musste sie versuchen, ihn mit einem geringen Preis zu locken.
    „Ich brauche einen neuen Schleier.“
    „Mir scheint, deine Schleier sind gut genug. Da du sie im Haus nicht brauchst, verstehe ich nicht, warum ich Geld dafür ausgeben sollte.“ Timanoridas hatte sie lange warten lassen, bevor er in die Frauengemächer gekommen war, um sich ihre Bitte anzuhören.
    Neaira verbot sich eine freche Bemerkung über seinen Geiz und schmeichelte ihm stattdessen, was ihm gut zu gefallen schien. Ihm Freundlichkeit entgegenzubringen fiel ihr schwer. Lieber hätte sie ihn angespuckt. Timanoridas gab Neaira schließlich vier Obolen, für die sie sich unterwürfig bedankte. Insgeheim dachte sie, wie armselig seine vier Obolen im Vergleich zu den Geschenken waren, mit denen Simos sie überhäuft hatte.
    Timanoridas wies Kokkaline an, keine zu kostspieligen Stoffe zu kaufen. Er schöpfte keinerlei Verdacht, und Neaira sorgte dafür, dass Kokkaline erst am späten Nachmittag das Haus verließ. Sie wusste, dass Simos erst gegen Abend Nikaretes Haus besuchen würde. Als Kokkaline fort war, begann Neaira unruhig in ihren Räumen auf und ab zu laufen. Sie zerkaute sich die Nägel, ordnete die Gewänder in ihren Truhen und starrte aus dem Fenster in den Hof. Die Zeit verging zäh, während Neaira nichts zu tun hatte, außer der Sonne bei ihrer Wanderung zuzusehen. Als die Sonne sich rot färbte, dachte sie sehnsüchtig daran, wie sie früher zu dieser Zeit an ihrem Schminktisch in dem Zimmer mit den blauen Wänden gesessen und sich für Simos geschmückt hatte. Der Abend war eine Zeit der Aufregung und Vorfreude gewesen, denn Simos hatte dafür gesorgt, dass sie über die Schwelle der roten Tür treten konnte. Er hatte sie auf Symposien mitgenommen und die Geheimnisse der Nacht erkunden lassen. Was war aus ihrem Leben geworden? Eintönigkeit, die nur unterbrochen wurde vom rohen Timanoridas und dem fischmäuligen Eukrates. Neaira wurde noch unruhiger, 256
    als Kokkaline bei Einbruch der Dunkelheit noch immer nicht zurück war. Als sie meinte das nervenzehrende Warten nicht mehr auszuhalten, hörte sie endlich Kokkalines Schritte vor ihrer Tür. Kokkaline schien keine Eile zu haben. Neaira ärgerte sich einmal mehr über ihre Sklavin. Als Kokkaline das Zimmer betrat, reichte sie Neaira den neuen Schleier. Sie warf ihn auf das Bett und beachtete ihn nicht weiter. „Hast du mit dem Herrn Simos sprechen können?“ Die Schatten der Nacht und der Verheißung lockten sie. Vielleicht war sie bald frei, vielleicht würde es schon morgen wieder Symposien, Theaterbesuche und Simos in ihrem Leben geben.
    Kokkaline trat verlegen von einem Fuß auf den anderen. Ihr Blick war wie gewöhnlich auf ihre Füße gerichtet, doch sie schwieg beharrlich.
    „Bei meiner geliebten Aphrodite – rede schon!“, schrie Neaira sie an, mäßigte dann jedoch ihre Stimme, da sie fürchtete Timanoridas könnte sie hören.
    „Ich habe den Herrn vor dem Haus der Nikarete angetroffen, und ich habe ihm gesagt was du mir aufgetragen hast.“
    „Wird er kommen?“ Sie hätte Kokkaline eine Ohrfeige geben mögen, weil sie so träge und langsam

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