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Der Gesang des Satyrn

Der Gesang des Satyrn

Titel: Der Gesang des Satyrn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Birgit Fiolka
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feilschen.
    Neaira bemühte sich um einen gleichgültigen Gesichtsausdruck, damit Nikarete nicht sehen konnte, wie schnell ihr Herz gegen ihre Rippen schlug.
    „Heute Abend wirst du mein Haus verlassen!“
    „Dann werde ich gleich damit beginnen meine Sachen in ein Bündel zu packen“, antwortete Neaira und hoffte, dass die Harpyie das Zittern ihrer Hände nicht bemerkte.
    „Hat Simos dir gesagt, wann er mich abholt?“ Sie kramte die Schleier, Schmuckstücke und Gewänder zusammen, die Simos ihr geschenkt hatte.
    „Nicht an Simos habe ich dich verkauft, sondern an den Herrn Timanoridas und seinen Freund, einen gewissen Eukrates aus Leukas, zu gleichen Teilen – für dreitausend Obolen.“
    Neaira ließ den Schmuckkamm fallen, den sie in ihr Bündel hatte legen wollen. Er war ein Geschenk Simos aus ihren ersten gemeinsamen Tagen – eine kunstvolle Arbeit aus Ägypten, mit Lapislazuli belegt und aus nubischem Gold. Er war doppelt soviel wert wie der Kaufpreis, den Nikarete für sie gefordert hatte. „Dreitausend Obolen“, antwortete Neaira gepresst. „Simos hätte dir sechs Talente für mich gezahlt.“ Das Blut rauschte in ihrem Kopf, ihr Herz raste. „Du bist dumm, Nikarete. Mit sechs Talenten wärest du die reichste Frau gewesen, die jemals in Korinth gelebt hat! Warum hast du Simos Angebot ausgeschlagen?“
    Die mürrischen Falten um Nikaretes Mund verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. „Weil ich wusste, dass du alles dafür getan hast von ihm freigekauft zu werden, und weil ich es niemals zulassen werde, dass du etwas anderes als eine Sklavin bist!“
    Neaira legte ihr Bündel beiseite und ließ sich auf ihr Bett sinken. Dann schloss sie die Augen und fühlte, wie ihr schwindelig wurde. Alles dahin , dachte sie müde. „Da hättest du mich auch behalten können und den Seeleuten und Handwerkern überlassen, wie du es mir immer wieder angedroht hast. Daran hätte dein gehässiges Herz doch weitaus mehr Freude gehabt.“
    Nikaretes Blick wurde matt. „Das ist wahr – du hast Glück, dass ich alt und verbraucht bin. Ich bin es leid dich anzusehen, dich jeden Tag vor meinen Augen zu wissen und den Hass auf dich zu spüren. Es ist mir unerträglich, dich weiter in meinem Haus zu behalten. Von allen meinen Mädchen hast du mir das meiste Geld eingebracht, den meisten Ruhm und das meiste Unglück! Aber ich habe dich in dem guten Gewissen verkauft, dass du Timanoridas verabscheust und dass dein feines Leben vorbei sein wird.
    Fortan wirst du nichts weiter sein als die Sklavin zweier Herren!“
    „Unglück habe ich dir gebracht“, fauchte Neaira und verbarg nicht länger ihren Zorn. „Du gemeines und hinterhältiges altes Weib sprichst von Unglück. Nicht einmal hast du das Unglück in den Augen der Kinder und Mädchen gesehen, die du in die gierigen Arme der Männer wirfst, nicht ein einziges Mal! Mögen die Götter dich bestrafen und auf ewig in den Tartaros verbannen!“
    Nikarete verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte. Es war ein freudloses Lächeln, das keinerlei Kraft besaß. „Vielleicht werden sie das tun, doch bis dahin wirst du meiner in deinem neuen Leben noch oft gedenken, dessen bin ich gewiss.“
    Timanoridas kam am Abend, um Neaira zu holen und sie in sein Haus zu bringen. Ein zufriedener Zug lag auf seinem Gesicht als Nikarete ihm seine neue Sklavin brachte. Neaira versuchte erst gar nicht, ihre Abneigung zu verbergen. So oft war sie ihm und seiner rohen Gier entgangen, so oft hatte sie ihn mit Missachtung gestraft. Er würde es nicht vergessen haben! Als ob er ihre Gedanken erraten hatte, packte Timanoridas sie am Arm und zog sie ein letztes Mal über die Schwelle der roten Tür. Er wies Neaira an, in den wartenden Eselskarren zu steigen und drückte ihr das Bündel in die Hand, das Nikarete ihr erlaubt hatte mitzunehmen – es war nur wertloser Plunder.
    Die kostbaren Geschenke, die Simos ihr gemacht hatte, lagen längst in den Truhen der Harpyie. Neaira zog den Schleier vor das Gesicht, um ihre Tränen zu verbergen. Die Götter sind launisch , dachte sie verbittert, während der Karren aus der Straße der Tuchhändler rumpelte.
    Timanoridas Haus lag im Norden der Stadt, in der Nähe der Badehäuser, weit ab von der Straße der Tuchweber. Während Timanoridas sie ins Andron schob, erklärte er Neaira, dass sein Freund erst in einigen Tagen erscheinen würde. Er und Eukrates hätten sich darauf verständigt, dass Neaira abwechselnd in seinem und dem Haus des Freundes

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