Der Gesang des Satyrn
war bereits fünfundzwanzig Jahre alt. Kokkaline hielt sich nicht für besonders schlau, aber Timanoridas war leicht zu durchschauen.
„Was sagst du zu unserem großzügigen Angebot?“, schloss Timanoridas.
Neaira lächelte, obwohl sie ihn vorhin noch mit dem Hinterteil eines Ochsen verglichen hatte. Ihre braunen Augen ließen keinerlei Zweifel an der Aufrichtigkeit ihrer Worte. „Ich danke euch beiden für eure Großzügigkeit und werde das Angebot annehmen. Aber das Geld muss ich erst beschaffen.“
Timanoridas, der einen ganzen Jahresumlauf eifersüchtig über sein Eigentum gewacht hatte, nickte. Die Erleichterung über die Lösung seines Problems war ihm anzusehen. „Du kannst dich ab heute frei bewegen und das Haus verlassen. Doch glaube nicht, dass du fortlaufen kannst, ohne die Auslöse zu bezahlen. Ich würde dich finden!“ Erneut hüstelte er, dann wandte er sich um und konnte nicht schnell genug die Frauengemächer verlassen.
Neaira sah ihm nach. Kaum war er verschwunden, winkte sie Kokkaline heran. „Such mir den besten Peplos heraus, schminke mich und richte mein Haar, bringe mir den kostbarsten meiner Gürtel ... schmücke mich als wäre ich eine berühmte Hetäre“, rief sie ausgelassen. Kokkaline beeilte sich, Neairas Wünsche zu erfüllen.
Neaira trug einen leuchtend roten Peplos mit aufwendigen Paspeln, den goldenen Gürtel, mit dem sie Kokkaline geschlagen hatte, ihre Lippen waren rot, ihr Gesicht blass geschminkt und entrückt wie das von Aphrodite, und an jedem ihrer Finger steckte ein Ring. Kokkaline hatte sich Mühe gegeben ihre Herrin herauszuputzen und war stolz auf ihre Arbeit. Die Blicke, welche der Herrin zugeworfen wurden, entlohnten sie für ihre Mühen. Neaira hatte immer wieder unzufrieden den Kopf geschüttelt, und Kokkaline hatte ihr drei Mal das Haar richten müssen, bis die Herrin zufrieden gewesen war. Jetzt sah sie aus wie eine reiche Hetäre. Kokkaline, die hinter ihr hertrottete, unterstrich ihr Bild des Wohlstands. Kokkaline staunte über die Anmut und den Eifer zu gefallen, welchen ihre Herrin zeigte, seitdem sie das Haus verlassen hatte. Jeder Missmut schien von ihr abgefallen zu sein wie eine alte Haut. Die Herrin schenkte jedem ein Lächeln, der sie wohlwollend ansah, und maß ihre Blicke selbstbewusst mit jeder Frau, die sie ablehnend musterte. Immer waren es die anderen, die zuerst ihren Blick abwandten. Sie schien erst lebendig zu sein, wenn es jemanden gab, mit dem sie ihre Kräfte messen konnte. Kokkaline hielt sich dicht hinter ihrer Herrin, die auf direktem Weg das Odeion ansteuerte. Als sie angekommen waren, stand die Herrin eine Weile davor und betrachtete es als wäre es das Schönste, was sie jemals erblickt hatte. Dann winkte sie Kokkaline ihr zu folgen.
Neaira schien ihren Weg genau zu kennen, führte Kokkaline durch die Gänge und schlug dann den Weg zu den Tribünen ein. Dort blieb sie am Fuß der Stufen stehen und wies auf zwei Männer, die für Kokkalines Empfinden alt waren, sich jedoch mit Eifer und theatralischen Gesten hitzige Wortgefechte lieferten. Immer wieder hoben sie die Arme zum Himmel und riefen in übertriebenen Gesten die Götter an. Kokkaline, die so etwas noch nie gesehen hatte, fand das Verhalten der beiden seltsam.
„Siehst du die beiden alten Zausel da?“ Die Herrin schien amüsiert über Kokkalines Unsicherheit. „Geh zu ihnen, Kokkaline. Sag ihnen, dass ihre alte Freundin Neaira sie zu sprechen wünscht.“
Kokkaline fragte sich, ob es klug war die beiden zu unterbrechen. Wahrscheinlich würde sie sich ein paar Schläge und böse Worte von ihnen einhandeln. Schüchtern trat sie vor und versuchte sich bemerkbar zu machen. Die beiden nahmen sie überhaupt nicht wahr, so sehr schienen sie in ihrer eigenen Welt versunken. Erst als Kokkaline gegen ihre Art beinahe schrie, um das gespielte Wortgefecht der Männer zu unterbrechen, hielten sie inne und stemmten die Hände in die Hüften. Scheu trug Kokkaline ihr Anliegen vor und war sich sicher, gleich ein paar heiße Ohren zu haben. Doch zu ihrer Verwunderung geschah nichts. Als die beiden Zausel ihre Herrin sahen, folgten sie Kokkaline wie Hunde. Sie musterten die Herrin mit Wohlwollen und einem verklärten Lächeln.
„Xenokleides und Hipparchos, meine Herren, vielleicht habt ihr es schon gehört; wenn nicht bin ich gekommen, euch die Neuigkeit mitzuteilen.“ Beiden Männern schenkte die Herrin einen verheißungsvollen Blick und achtete darauf, keinen von ihnen länger
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