Der Gesang des Satyrn
vor aller Augen zurückzuweisen und sich ihm verweigern? Er würde es niemals zulassen! Du hast sie früher getäuscht, also kannst du es auch jetzt . Erinnere dich an dein altes Leben! Da endlich gelang es ihr zu lächeln und fröhlich zu tun. „So ist es, ihr Herren!
Die Hetäre Neaira schenkt nur Phrynion ihre Gunst -
solange es ihr beliebt und sein Geldbeutel prall ist.“ Sie hasste, was sie sagte, doch es waren Worte, welche die Männer verstanden und von ihr hören wollten. Wie unangemessen sie die Gefühle einer Frau gefunden hätten, die sich ihr Leben lang wahllos Männern hingegeben hatte, konnte Neaira nur ahnen. Bewunderung würde zu Spott werden, Achtung zu Geringschätzung. Nein, so war es besser. Sie liebten ihre Schamlosigkeit, nicht ihre Ehre.
Neaira schluckte ihre Tränen hinunter und tat den ganzen Abend ausgelassen und fröhlich.
Phrynion, dem ihre Schamlosigkeit zu gefallen schien, flüstere ihr heiser ins Ohr. „Endlich hast du es eingesehen, Neaira. Du bist, was du bist, genau wie ich.“
Das war sie nicht, und es war die erste große Lüge, die zwischen sie trat. Trotzdem liebte Phrynion sie in dieser Nacht leidenschaftlicher denn je.
„Wir werden das Fest meines Freundes Chabrias besuchen“, eröffnete ihr Phrynion einige Wochen später, während sie im Andron ihr Morgenmahl zu sich nahmen.
„Er hat im Wagenrennen bei den pythischen Spielen gesiegt und ist gestern Abend aus Delphi zurückgekehrt.
Heute Abend gibt er ein Fest, und ich bin eingeladen. Er hat von der großen Neaira gehört, die schöner sein soll als Athene.“ Er sagte es wie beiläufig, einen leicht spöttischen Ausdruck im Gesicht. Neaira versuchte ihren Schrecken zu verbergen, denn sie erinnerte sich an einen Mann der gerne Wetten abschloss, und sie erinnerte sich an eine andere Neaira – eine, die alles dafür gegeben hätte berühmt zu sein. Aber vielleicht war er es ja gar nicht; gab es nicht viele Männer mit diesem Namen, die aus Athen stammten?
Phrynions Laune war ausgelassen im Hinblick auf das Fest.
„Ich will, dass du einen der leichten Chitone trägst und die Spitzen deiner Brüste mit rotem Ocker bemalst, wie es die Frauen in Ägypten tun. Du stehst den Ägypterinnen nichts nach, und Chabrias soll das sehen. Schminke dein Gesicht, damit du wie die Göttin der Liebe selbst aussiehst.“
Neaira hob die Brauen, sagte jedoch nichts. Sollte sie Phrynion von ihrer Bekanntschaft mit Chabrias erzählen?
Aber was wäre, wenn er eifersüchtig wurde? Vielleicht war es tatsächlich ein anderer Chabrias, mit dem er befreundet war. Dann würde sie sich umsonst seiner düsteren Unberechenbarkeit aussetzen. Neaira entschied sich zu schweigen. Wenn es ihm gefiel, sollte er sie herumzeigen.
Ohnehin war Phrynion dazu übergegangen, sie zu seinen ausschweifenden Festen mitzunehmen. Neaira spielte die Rolle der schamlosen Geliebten mittlerweile wieder mühelos. Er dachte, sie hätte sich damit abgefunden und ihr altes Leben mit einem Schulterzucken wieder aufgenommen, obwohl es nicht so war. Sollte sie sich mit ihm streiten? Neaira wollte endlich Frieden und ein Heim.
Trotzdem redete sie sich ein, dass die Art wie er sie behandelte nur auf seiner Eifersucht beruhte und auf der Angst, dass sie ihm davonlaufen würde. Noch immer hielt Neaira an ihrer Hoffnung fest, Phrynion könnte sich ändern, wenn sie nur lang genug durchhielt.
Als sie in ihre Räume zurückkehrte, wies Neaira Kokkaline an, die Spitzen ihrer Brüste mit Ocker zu bemalen. Sie wählte verschwenderische Mengen von Schmuck und einen Chiton aus leichtem Stoff. „Ich sehe aus wie eine Hure, egal was ich auch tue“, sagte sie matt zu ihrer Sklavin, während Kokkaline ihr den Bronzespiegel vor das Gesicht hielt.
„Vielleicht ist es genau das, was der Herr Phrynion bevorzugt“, wagte Kokkaline zu entgegnen.
Neaira fürchtete sich vor der Wahrheit in den Worten ihrer Sklavin.
Chabrias richtete seine Siegesfeier in seinem Haus bei Kolias in der Bucht von Phaleron aus, die im Südwesten Athens lag. Die Gäste waren bereits angetrunken als Phrynion Neaira ins Andron schob. Chabrias begrüßte sie mit dem Efeukranz auf dem Kopf, der ihm für seinen Sieg im Wagenrennen verliehen worden war. Neaira wich unter ihrer von Kokkaline sorgfältig aufgetragenen Schminke alle Farbe aus dem Gesicht. Sie kannte dieses selbstsichere Grinsen. Ohne Vorwarnung drückte Chabrias sie an seine breite Brust und rief: „Ganz Athen spricht von Phrynions berühmter
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