Der Gesang des Satyrn
dieses eine Mal, als du mich gebeten hast dich auf meine Kline zu holen, habe ich ihr nachgegeben ... und danach ging es mir schlecht, weil du meine Gedanken beherrscht hast. Aber ich glaubte, dass du nur wegen des Mädchens zu mir gekommen warst.“
Phrynions Augen baten sie um Verständnis. Neaira meinte, noch nie eine solch dunkle Verlorenheit im Blick eines Menschen gesehen zu haben – Verlorenheit und ... Schuld?
„Hast du Nikarete von Metaneiras Schwangerschaft erzählt?“
„Ja“, fluchte er unwillig, als ob ihn das Eingeständnis der Tat zuwider war. „ Ja, das habe ich getan! Als du geschlafen hast, bin ich zu ihr gegangen.“ Phrynion griff nach ihrer Hand. „Obwohl ich es nicht tun wollte! Ich wollte nach Athen zurückkehren und Lysias die Nachricht überbringen. Aber ich bin ein Zweifler, Neaira. Ich konnte nicht vergessen, dass du eigentlich nur wegen ihr zu mir gekommen bist. Ich war eifersüchtig.“ Wieder machte er eine Pause, bevor er fortfuhr. „Den Tod des Mädchens wollte ich nicht.“
Neaira wollte keine von seinen Erklärungen mehr hören ... Erklärungen, die sie dazu verdammten, an Metaneiras und Hylas Schicksal mitschuldig zu sein.
Warum hatte sie das alles nicht gesehen, warum war sie so blind gewesen? Phrynion packte ihr Handgelenk. „Du darfst nicht gehen, Neaira! Ich habe dich freigekauft, und du bist freiwillig mit mir gekommen. Das ist es, was ich wollte, damit ich mir sicher sein kann. Jetzt, wo alles gut ist, darfst du es nicht zerstören!“
„Du hast doch schon längst alles zerstört!“, fauchte Neaira und versuchte, sich von ihm loszureißen. In diesem Augenblick verdunkelten sich Phrynions Augen. Neaira meinte in eine gähnende Leere hinabgesogen zu werden, während seine schönen Gesichtszüge sich verhärteten.
„Nein! Du wirst nicht gehen, nicht nachdem ich dir einen solch tiefen Blick in mein Innerstes gewährt habe.“ Er ließ sie erst los als sie mit all ihrer Kraft versuchte seinen Griff abzuschütteln. Trotzdem hielt sein Blick sie weiter gefangen. „Du bist an mich gebunden, erinnerst du dich?
Als Kind hast du mich gefragt, ob ich ein Satyr wäre, und behauptet keine Angst zu haben, und du hast mir angeboten, mir alles zu geben. Ich habe nie behauptet, ein zahmes Haustier zu sein. Zurückhaltung, Mäßigung und Ordnung lehne ich ab – ich verehre Dionysos und seine Scharen ... und das jeden einzelnen Tag meines Lebens, genau wie du. Er ist der Gott, dem ich mein Leben geweiht habe. Deshalb gehören wir zusammen.“
Neaira verstummte bei seinen Reden, in denen so viel Verzweiflung aber auch so viel zerstörerischer Wille lag.
Und mit einem Blick in seine Augen wusste sie – er meinte es ernst, und er würde sie nicht gehen lassen. Phrynion liebte sie! Doch seine Liebe, die sie in ihrer blinden Bewunderung für stark und beschützend gehalten hatte, kannte keine moralischen Grenzen.
11. Kapitel
Hetäre
Kokkaline wiegte sie wie ein Kind, während Neaira schluchzte. Es dauerte eine Weile, bis sie ihre Fassung zurückgewann. Das erste Mal boten ihr die Frauengemächer eine Zuflucht vor ... ja vor was?
„Kokkaline, hast du eigentlich die Schatulle mit meiner Freilassungsurkunde gesehen, seitdem wir nach Athen gekommen sind?“
Kokkaline schüttelte den Kopf, während Neaira mit einem Seufzen die Augen schloss. „Also bin ich wieder eine Sklavin, ich dumme vertrauensselige Frau. Was soll ich tun?
Ich habe diesem Mann mein Herz geöffnet, weil ich glaubte, dass er anders wäre als jene, die mich mein ganzes Leben lang benutzt und gedemütigt haben.“
„Herrin, vielleicht wird er sich ändern“, versuchte Kokkaline sie zu ermuntern, obwohl sie selbst nicht glaubte, was sie sagte.
Neaira nahm ihren Schleier und wischte sich die Tränen fort. Das erste Mal in ihrem Leben hatte sie ein Heim, lebte mit einem einzigen Mann und wurde geliebt.
War es da nicht klug, es zumindest zu versuchen? Was blieb ihr anderes übrig? Neaira dachte an Hylas, der auf den Feldern schwitzte, und sie dachte an Metaneira und empfand es als Verrat an ihr Phrynion noch immer zu lieben. „Ach, Kokkaline, ich bin mein ganzes Leben nur eine Sklavin gewesen, aber ich wurde ebenso verwöhnt, wie ich gedemütigt wurde. Ich habe heute auf den Feldern Abscheu bei Hylas Anblick empfunden ... und die nackte Angst, es könnte mir so ergehen wie ihm ... das ist die schlimme Wahrheit! Ich mag nicht eingesperrt in einem Haus leben oder auf die Vorzüge des Lebens verzichten.
Ich
Weitere Kostenlose Bücher