Der Gesang von Liebe und Hass
Männern Lust gegeben, während deine Brüste verdorrt sind.« Die Hennarote beugte sich vor und riß der alten Frau das Kleid auf. »Seht her! Trockene Feigen kleben auf ihren Rippen, ein Wunder, daß sie noch nicht abgefallen sind!«
Viele andere lachten.
Maria Christina schloß die Augen und hielt sich die Ohren zu.
Das Mädchen neben ihr zog ihr die Hand vom linken Ohr und sagte: »Damit kommst du auch nicht weiter. Ja, es ist leicht, Ohren und Augen zu schließen. Aber nur eine Weile lang. Dann mußt du sehen und hören. Dann mußt du riechen und schmecken, wie beschissen das Leben ist.«
Maria Christina wandte sich ihr zu.
»Wo kommt du her?« fragte sie noch einmal. »Wer bist du? Wie heißt du?«
Das Mädchen spreizte die Knie und fächelte sich mit dem Rock Kühle zwischen die Beine.
»Ich trage ein Kind in meinem Bauch, und falls es nicht erstickt, während ich hier drin bin, werde ich es zur Welt bringen. Ich hab's nicht freiwillig empfangen, er hat es mir einfach gemacht. Und er war ein Nacional. Was kann ich dafür?«
Die Frauen murmelten untereinander, aber kein einziges Wort war klar zu verstehen.
»Wir hätten den Krieg anfangen sollen«, sagte das Mädchen, »wir, die Frauen. Wir hätten die Männer zum Teufel jagen sollen, in die Hölle! Wir hätten sie vergiften und erstechen sollen. Wir hätten ihnen die Hoden abschneiden und ihre Mäuler damit stopfen sollen!«
»Ja, werde nur rot«, sagte sie zu Maria Christina, »verbirg dein Gesicht in den Händen. Du schämst dich für mich. Warum? Ich will es nicht. Ich sage, was ich meine. Hat es je einen Krieg gegeben, in dem die Frauen nicht geschändet wurden? Je einen Krieg, in dem die Kinder nicht Hungers starben? Je eine Schlacht, in der nicht tausend Dummköpfe starben für eine Idee. Irgendeine Idee?«
»Du bist eine Linke«, sagte eine der alten Frauen, die einen Rosenkranz unablässig durch ihre Finger rinnen ließ, wie Perlen schwarzen Wassers. »Du bist eine Revoluzzerin!«
Das Mädchen lachte laut, und es klang beinahe, als sei sie in diesem Lachen frei.
»Ich bin nichts«, sagte sie, »als ein Körper mit zwei Beinen und zwei Armen, mit Augen und Ohren, mit einer Nase und einem Mund, mit zwei Brüsten und dem Loch zwischen meinen Beinen, in dem jetzt der Samen wächst, den ich nicht wollte. Ich verfluche die Männer. Ihr Verstand ist wie ein grobes Netz, durch das die kleinen Fische schlüpfen, und die großen schlagen sie tot, um sie zu fressen. Aber sie füllen nur ihren Bauch damit. Ihr Gehirn bleibt leer.«
Ein paar der alten Frauen kicherten, einige bedeckten ihre zahnlosen Münder mit der Hand, andere ihre stumpf gewordenen Augen.
»Warum willst du dennoch dein Kind zur Welt bringen?« fragte Maria Christina.
»Weil es in mir wächst. Weil es ein Teil von mir ist. Da, fühl.« Sie nahm Maria Christinas Hand und legte sie auf ihren Bauch.
Maria Christina spürte nichts.
»Es bewegt sich schon«, sagte das Mädchen. »Manchmal macht es mich nachts wach. Dann dreht es sich hierhin oder dorthin, und ich spüre seinen Atem in meinem Bauch.«
»Ich könnte es dir wegmachen«, sagte eine alte Frau, die weit von ihnen saß, über die gesenkten oder lauschend erhobenen Köpfe der anderen hinweg. »Ich habe noch Seife.«
»Davon will ich nichts hören«, sagte das Mädchen. »Wenn ich hier rauskomme, gehe ich fort. Weit fort. Und niemand wird je erfahren, wer der Vater dieses Kindes war.«
»Warum willst du das?« fragte Maria Christina leise.
Das Mädchen lachte. Es klang spöttisch und verloren zugleich. »Weil ich will, daß es ganz allein meines ist. Mein Kind. Das ist – das ist meine Rache, verstehst du? Kein Vater kann kommen und sagen, tu dieses oder jenes für meinen Sohn. Niemand wird mir Vorschriften machen. Ich werde es erziehen. Es wird mein eigen sein.«
Die Frauen tuschelten untereinander. Dann fragte eine: »Wie weit bist du, Muchacha?«
»Im fünften«, sagte das Mädchen.
»Man sieht es dir nicht an.«
»Wie sollte man, bei dem Fraß, den es hier gibt?«
Abends, als ihnen Brot und Wasser gebracht wurden und faulige Zwiebeln, gaben die Frauen dem Mädchen das Weiche des Brotes und das Innere der Zwiebeln, das scharf und süß zugleich roch, denn es waren rote Zwiebeln.
Das Mädchen dankte den Frauen nicht. Es verschlang alles so schnell, und Maria Christina wußte, sie fürchtete sich, daß eine der anderen Frauen es sich noch überlegen und ihren Anteil zurückverlangen könnte.
Maria Christina
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