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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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schloß die Augen in dem durch das winzige Fenster hereindringenden Dunkel der Nacht und legte die Hände auf ihren Bauch.
    Sie wußte, daß auch sie schwanger war.
    Sie wußte, auch sie würde ein Kind gebären.
    Aber noch war ihr Bauch ein kaum ertastbarer Hügel zwischen den Knochen ihres Beckens.
    Sie dachte an die Erzählungen der Tanten, wie schwer ihre Mutter sie und ihre Geschwister geboren habe, weil sie so schmal gebaut sei, und sie wußte, sie hatte das enge Becken von ihrer Mutter geerbt.
    Nicht oft, aber doch manchmal hatten ihre Mutter und sie gemeinsam vor dem großen Ankleidespiegel gestanden, wenn die Näherin ins Haus kam, um die Roben zur ersten und zweiten und dritten Anprobe abzustecken.
    Gertenschlank nannten die Näherinnen ihre Mutter und später auch sie. Maria Christina beneidete das junge Mädchen neben sich um seine breiten Hüften und die kräftigen Beine.
    »Weißt du, ich war in einem Kloster«, sagte sie in der Nacht.
    Das Mädchen grunzte nur.
    »Wann hast du gewußt, daß du wirklich schwanger warst?«
    »Als das Blut ausblieb.«
    »Meines ist auch ausgeblieben.«
    »Na ja, dann weißt du ja Bescheid.«
    »Aber jemand hat mir gesagt, es kann auch ausbleiben, wenn man einen Schock erlitten hat.«
    »Was ist das?«
    »Ein Schock? Es ist – es ist etwas, mit dem man nicht fertig wird, in seinem Kopf, verstehst du?«
    »Nein.«
    »Über das man nachdenken muß. Immer nachdenken.«
    »Ich bin müde, laß mich schlafen«, sagte das Mädchen.
    »War es bei dir das erste Mal?«
    »Was?«
    »Daß du mit einem Mann …«
    »Bist du verrückt? Natürlich nicht.«
    »Aber du bist so jung?«
    »Der erste war mein Vetter. Und dann noch ein paar andere. Und dann die Soldaten.«
    »Welche?«
    »Die einen und die anderen.«
    »Die Internacionales auch?«
    »Natürlich. Männer sind Männer. Und jetzt laß mich in Ruhe.«
    Maria Christina senkte den Kopf auf ihre Knie.
    Brenski, dachte sie, Brenski. Auch er. Männer sind Männer? Sind Männer immer nur Männer?
    Und sie sah die Augen ihres Vaters, wie sie der weiblichen Gestalt in dem schmalen, schwarzen Anzug folgten, draußen auf der Finca, der Gestalt mit dem goldenen Haar und den Augen wie Goldstücke, und sie war wieder ein Kind, und sie sagte, sie hat Geld in den Augen, und danach sah sie Elvira niemals wieder.
    Männer sind Männer.
    Ihr Vater hatte Geliebte gehabt.
    Ihr Bruder hatte wegen eines Mädchens einen anderen Mann getötet.
    Und Brenski?
    Was hatte er getan, gesagt, als er sie nahm?
    Sie konnte sich nicht erinnern.
    Sie konnte einfach kein einziges Wort zurückholen, das wirklich ihr gegolten hätte.
    Männer sind Männer.
    Nicht Brenski, dachte sie. Er ist anders. Er ist verschlossen, aber das ist mein Vater auch, wenn man nicht versteht, ihn zu rühren.
    Aber Brenski ist ein Fremder. Was weiß ich denn, woher er wirklich kommt? Warum er hierher kam?
    Männer machen die Kriege. Einen Messerhelden haben sie ihn genannt, und ich weiß, er war sogar noch stolz darauf. Ja, er ist stolz darauf, wie er mit dem Messer umgehen kann.
    Jeder Mann muß eine Fertigkeit haben und damit leben, hat El Corazón gesagt.
    Aber Brenskis Augen waren suchend und findend und fragend und glücklich. Und blind.
    Er hat mich nie mehr in seine Arme genommen.
    Er hat gesagt, er kann nicht vergessen.
    Er hat mich nicht verlassen, aber ebensogut hätte ich das Maultier sein können, dem er zu fressen gab und das er an den Bach zur Tränke führte. Für ihn war ich eine Blinde, die man über eine Straße führt.
    Brenski – ein Mann wie alle anderen. Sie weinte still vor sich hin und hörte nur das Stöhnen und Seufzen der anderen Frauen.
    Er hatte ihr geholfen, aus dem Kloster zu entkommen, um im Gefängnis zu landen.
    Um sieben Uhr morgens wurde sie zum Verhör geholt.
    Sie schämte sich ihrer ungekämmten Haare, ihres Körpers, der nach dem Angstschweiß der Alpträume und der Fäulnis der Zelle riechen mußte.
    Viermal wurde ihr Name erfragt, wiederholt und notiert.
    Sie saß einem Offizier gegenüber, der traurige, müde Augen hatte; vielleicht war er auch krank, denn seine Hände bewegten sich in fahrigen Kreisen über die Papiere auf seinem Schreibtisch. Irgendwo im Hintergrund saß ein rundschädliger Bursche, der eifrig, jedoch offenbar unbeholfen Fragen und Antworten mitschrieb, denn immer wieder sagte er: »Wie war das letzte Wort, der letzte Satz?«
    Und sie berichtete, erst stockend, dann mutiger werdend, die Wahrheit und nichts als die

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