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Der Gesang von Liebe und Hass

Titel: Der Gesang von Liebe und Hass Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordes Alexandra + Horbach Michael
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uns in Santiago de Compostela zu treffen. Bei einem Onkel, der sozusagen in der Familienverbannung lebt. Er ist Jude.«
    »Santiago de Compostela.« El Corazón schloß die Augen. Mit leiser Stimme fuhr er fort: »Weißt du, daß im frühen Mittelalter, als die Christen nicht mehr zu den heiligen Stätten im Heiligen Land konnten, vor allem nicht nach Jerusalem, weil Palästina damals von den Moslems erobert worden war, die Gläubigen aus ganz Europa nach Santiago de Compostela auf die Wallfahrt gegangen sind? Manche von ihnen kamen Tausende von Kilometern, aus dem fernen Polen, aus dem Osten des damaligen Deutschen Reiches, aus England, sie kamen zu Fuß oder mit dem Schiff, und in Santiago erhofften sie sich die Vergebung ihrer Sünden durch den heiligen Jago, den heiligen Jakob, wie ihr ihn nennt, denn die Christen damals glaubten, daß er der erste wirkliche Apostel Europas war, der Spanien und allen Ländern zum Norden hin das Licht der Erleuchtung gebracht hat.« El Corazón nickte. »Ja, du wirst staunen, aber ich habe auch einmal eine Wallfahrt dorthin gemacht, als es meiner Mutter sehr schlecht ging und die Ärzte nicht wußten, an welcher Krankheit sie überhaupt litt. Ich bin die ganze Strecke von Malencanto zu Fuß gegangen, und das sind mehr als sechshundert Kilometer. Ich habe es in vierzehn Tagen geschafft. Es war ein herrlicher Marsch durch die wilden Wälder Asturiens, durch das schroffe Gratland der Berge Galiciens, durch die sonnigen Hügel des Westens, wo die Flüsse zum Meer hin laufen, so schnell, daß den von weither Gekommenen schier der Mut verlassen könnte, seine Füße weiter zu bewegen, um zum heiligen Jakob in seiner Stadt zu beten. Ich habe es geschafft, und ich habe gebetet! Ich bin mit der Eisenbahn zurückgekommen, und Mama Elena ging es so gut wie seit Jahren nicht mehr. Und seitdem war sie gesund.« El Corazón rieb sich die Stirn. »Vielleicht war es mein Gebet oder meine Wallfahrt, vielleicht der liebe Gott oder der Zufall, oder der Wille meiner Mutter, wieder gesund zu werden, um ihren Sohn nicht zu enttäuschen, der sich zu Fuß auf einen solch langen Marsch gemacht hatte. Ich weiß es nicht.«
    »Ja, wir haben einander versprochen, wenn wir getrennt würden, uns in Santiago de Compostela zu treffen«, sagte Brenski schnell, denn er sah, daß sich die Augen seines Freundes mit Tränen gefüllt hatten. Er schaute weg und fuhr fort: »Aber das ist alles eine wilde Spekulation, denn ich weiß nicht, wo Maria ist, ob sie noch lebt oder tot ist. Außerdem werden wir gewiß nicht mehr lebend aus diesem Gefängnis rauskommen.«
    El Corazón hatte jetzt wieder die Augen geschlossen, und er sagte leise: »Sei nicht so sicher. Irgend etwas kommt von ferne her, ich spüre es, irgend etwas liegt in der Luft. Es ist wie ein Hauch – ein Hauch von neuem Leben.«
    Brenski schüttelte den Kopf, aber er erwiderte nichts. El Corazón lehnte sich zurück, mit dem Rücken gegen die Steinwand. In der Stille, die jetzt herrschte, konnten sie Marschtritte im Hof hören, Kommandos.
    Türen wurden geöffnet, schlugen wieder zu, Ketten und Schlösser rasselten.
    »Nun, dann wären wir also soweit«, sagte Brenski.
    Ein Lächeln flog über El Corazóns Züge. Er hob den Zeigefinger, als wollte er den Wind in seiner Sierra prüfen, und dann sagte er: »Lausch doch mal! Sie kommen. Ich kenne die Geräusche. Es sind deine Deutschen, Camarada Brenski. Die Legion Condor. Das sind Heinkel-Maschinen da oben in der Luft.«
    Brenski schaute ihn verblüfft an, aber dann hörte er es auch, das dröhnende, drohende, drängende Summen von Flugzeugmotoren.
    Im gleichen Augenblick begann eine Alarmsirene auf dem Dach des Gefängnisses ihr Geheul.
    »Madre de Dios«, flüsterte El Corazón, »das ist es, was ich gespürt habe.«
    Unten im Hof schrien sie durcheinander, alles rannte, das konnte man hören, zu den Luftschutzbunkern unter dem Gefängnis, und oben auf dem Dach begann jetzt eine Maschinenkanone zu bellen, paff – paff paff, aber es klang dünn und ohnmächtig gegenüber dem Rauschen, als bewege sich der ganze Himmel über ihnen in mächtigen Scharnieren, und dann heulte es, greller noch als die Sirene, immer schrecklicher – die Stukas waren da.
    Instinktiv warfen sich die zum Tode Verurteilten zu Boden, obwohl sie nichts mehr zu verlieren hatten, aber die animalische Angst zwang ihre Gesichter auf den Zellenboden.
    Und dann brach die Hölle los.
    Rechts und links von ihnen schlug es ein, die Bomben

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