Der Gesang von Liebe und Hass
ein unbewegtes Gesicht.
»Das war der letzte«, sagte der Arzt mit einem harten, heftigen Ton.
Maria Christina ging hinaus, Eimer und Wasser zu holen, ein Scheuertuch, und bald kniete sie auf dem Boden und wusch das Blut auf.
Der Verwundete hatte am Schluß noch gesagt: »Brenski ist ein guter Kamerad, auf ihn kann man sich verlassen, und was mit mir geschehen ist, war nicht seine Schuld.«
Brenski mußte der Sergeant der Internacionales sein. Seltsame Augen hatte er, die sie an den braunen Samt denken ließen, aus dem ihr letztes Sonntagskleid gefertigt war, brauner Samt, der in der Sonne goldene Tupfer einfing.
Es waren für einen Soldaten seiner Art merkwürdig sanfte Augen. Es waren traurige und suchende Augen. Sie waren wie die Augen von Burton in Paris.
Sie dachte jäh an Paris, während sie die Steinquader schrubbte. Sie dachte daran, wie fröhlich sie gewesen waren, wie sie über die Champs-Elysées geschlendert waren und wie Burton ihr Veilchen schenkte, die sie vor ihrer Tante verbergen mußte. Sie dachte an den süßbitteren Geschmack des Kaffees in den winzigen Tassen auf den kleinen runden Tischen der Boulevardcafes und an die geschminkten Mädchen mit den großen Schlenkerhandtaschen. Sie dachte an die kecken Baskenmützen über flink blitzenden Augen der Studenten um die Sorbonne, und sie dachte an zu Hause, an das Haus in Córdoba mit seinem Patio, in dem es ewig Sommer blieb, und an die Finca mit ihren Pferdekoppeln und den Weiden mit den Stieren. Sie dachte an die Sommernacht vor vier Jahren, als ihr Vater zu seinem Geburtstag eine große Fiesta gab und sie unter grünweiß gestreiften Zelten tanzten und tafelten und die Zigeunerkapelle bis in die Morgenstunden aufspielte, bis ihr Vater einem jeden einen großen Pesetenschein in die Tasche ihrer knappen roten Westen steckte. Und wie sie müde unter dem Moskitonetz in ihrem Bett lag, zu müde, sich auszuziehen, und die glatte Seide des hellgelben Kleides um sich spürte, warm und kühl zugleich. Sie war zu müde, um einzuschlafen, zu müde, um wachzubleiben, und sie träumte im Halbschlaf, daß ihr Leben ein einziges Fest sein würde, zuerst behütet von ihren Eltern, dann eines Tages, wenn es an der Zeit war, von einem Mann, und sie sah sich auch durch ein Kornfeld schreiten, hoch standen die Ähren und dufteten süß von der Sonne, und zwei Kinder, die ihr deutlich glichen, die das gleiche dunkelrote Haar hatten, das man ihr abgeschnitten hatte, sammelten die Blumen des Feldes, und sie schmückten eine kleine Kapelle damit, die am Wegrand stand, umkränzten die blau weiße Statuette der heiligen Mutter Maria.
Und sie dachte, ich habe auf all das verzichtet, aber ich will nicht mehr auf all das verzichten. Ich will nicht für den Rest meines Lebens auf den Knien liegen, betend, wenn ich gar nicht beten kann, ich will nicht eingeschlossen sein mein Leben lang.
Das, was sie so lange in sich unterdrückt hatte, begehrte jetzt in Maria Christina auf. Es war, als habe der blutige Kampf um das Kloster und der blutige Kampf des Arztes am Operationstisch gegen den Tod ihr jäh die Augen geöffnet. Sie konnte sich nicht länger selbst betrügen. Stürmisch forderte plötzlich ihre Jugend die Freiheit.
Ich will hier raus, dachte sie.
Die kurze, magere Hand des Arztes richtete sie auf.
»Sie haben sich gut gehalten«, sagte er, »aber jetzt setzen Sie sich erst einmal hin.«
Er drückte sie auf den dreibeinigen Schemel. Er wusch ihre Hände, gab ihr ein Tuch, sie zu trocknen. Dann zog er unter seinem weißen Kittel eine flache, silberne Flasche hervor.
»Da, nehmen Sie einen Schluck.«
Sie trank. Es brannte in der Kehle, aber sie erinnerte sich wieder, es war Fundador, den ihre Mutter in der Küche für die fahrenden Händler bereithielt, wenn sie auf die Finca kamen, oder in Córdoba im Pförtnerhaus.
»Na, besser?« fragte der Arzt.
Sie nickte stumm.
»Sie haben genug getan«, sagte er. »Gehen Sie und ruhen Sie sich aus. Ich werde eine der anderen Schwestern bitten, hier fertig aufzuräumen.«
»Aber die Mutter Superior?« Hatte sie immer noch Angst vor ihr?
»In diesem Gelaß befehle ich«, sagte der Arzt und lächelte sie schnell an. »Also, gehen Sie und tun Sie, was ich sage, schlafen Sie, das heilt am schnellsten.«
7.
Nur eine Stunde Schlaf.
Aber das konnte Brenski sich nicht leisten. Die vorgeschobenen Posten draußen im Gelände waren auf einen marokkanischen Spähtrupp gestoßen. Es war nicht zum Kampf gekommen, aber Brenski
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