Der Gesang von Liebe und Hass
gekämpft – so wie jetzt …«
Brenski drehte sich zu dem Arzt um. »Sie können gehen.«
Der Arzt machte keine Anstalten zu gehorchen.
Der Colonel hob seinen Kopf und sah den Arzt an. »Gehen Sie …« Seine Worte kamen kaum hörbar aus seinem Mund. »Ich werde auch allein mit einem Söldner fertig.«
Der Arzt schloß die Tür hinter sich.
»Und wenn ich tausendmal ein Söldner wäre, für die Freiheit Spaniens würde ich es gerne sein«, sagte Brenski.
»Was liegt Ihnen an Spanien? Sie sind ein Alemán.«
»Die Solidarität der Geknechteten kennt keine Nationalitäten und keine Grenze.« Während er dies sagte, spürte Brenski selbst, wie geschwollen es klang.
Das Gesicht des Colonels verzog sich wie im Schmerz, aber Brenski sah, daß er lachte, lautlos, wobei ihm Tränen über die Wangen liefen.
Brenski zog sich einen Schemel heran, setzte sich.
»Ja, das ist verdammt komisch, nicht? Aber wofür kämpfen Sie? Sie kämpfen, um Hitler und Mussolini Ihr Land als Experimentierfeld dienen zu lassen. Hier wird der neue Weltkrieg vorbereitet. Und nur, wenn wir die Nacionales schlagen, wir, die Spanier der Republik und die Internacionales, dann werden die beiden den Mut nicht aufbringen, einen Krieg vom Zaun zu brechen.«
»Ist – Ihr Stalin – besser?«
»Es ist nicht mein Stalin. Aber er hat die Sowjetunion zusammengeschmiedet. Zum erstenmal ist Rußland geeint und frei.«
»Sí, frei von allen Freiheiten. Sagen Sie mir, Sie müssen es doch als intelligenter Mensch wissen, wieviel Tote haben die Kulakenverfolgungen und die anderen ›Säuberungen‹ gekostet?«
»Jede Revolution hat ihre Konterrevolutionäre.«
»Ich will es Ihnen sagen – über zehn Millionen Menschen bisher, ohne den Bürgerkrieg – und ohne das, was jetzt noch kommt. Sagt Ihnen der Name Tuchatschewski etwas?«
»Er ist der Generalstabschef der Roten Armee.«
»Michail Nikolajewitsch Tuchatschewski, Marschall der Sowjetunion, ist, was im Westen kaum bekannt wurde, mit einem halben Hundert anderer hoher und höchster Offiziere wegen Verschwörung gegen die Sowjetunion letztes Jahr liquidiert worden. Die Revolution, Ihre Revolution, frißt ihre eigenen – und auch die anderen Kinder. Ihre Revolution ist die Revolution des Todes und der Sklaverei.«
»Das mit Tuchatschewski haben Sie sich ausgedacht!«
»Mein Sohn«, sagte der Oberst müde, »warum sollte ich? Im Gegenteil, ich würde mich freuen, wenn es anders wäre. Denn Tuchatschewski war ein Offizier wie ich. Kein Schlächter.«
Brenski sah sich wieder auf dem flachen, abgeernteten Feld in der Ukraine, einer von zweihundert Freiwilligen für den Einsatz im Namen der Revolution, wo immer es auch sei. Sie waren Gäste einer Militärparade zum Abschluß der sowjetischen Herbstmanöver im Oktober 1935, und er stand keine zehn Schritte entfernt von Marschall Tuchatschewski, ein Revolutionär mit der Haltung eines Grandseigneurs, mit dem männlichen Gesicht, mit den klugen Augen, den graumelierten Schläfen unter der mit breiten Goldlitzen umrahmten, olivfarbenen Mütze. Mit kaum 43 Jahren einer der jüngsten Militärs seines Ranges in der ganzen Welt, der Mann, der aus dem verlorenen Haufen der Revolutionsarmee die neue, moderne Rote Armee geschaffen hatte. Er ein Verräter?
Niemals.
Aber dann war es Stalin. Stalin, bei dessen Name es Brenski immer irgendwie unwohl wurde.
Stalin, der Schlächter. Selbst in der SPD hatte man offen darüber gesprochen, und die Genossen in Paris hatten es Brenski verübelt, daß er für zwei Monate in die Sowjetunion gereist war. Aber wie konnte er für das Proletariat kämpfen, wenn er nicht einmal die Heimat der Revolution kennenlernte?
»Was wollen Sie noch von mir wissen?« fragte der Oberst in seine Gedanken hinein.
»Die Marokkaner, die ›Moros‹ oder Mauren, wie Sie sie nennen?«
Der Colonel hob seine Hand. »Ich weiß nichts. Ich weiß nur, daß eure Sache verloren ist und daß ihr weiteres Blutvergießen verhindern könnt, wenn ihr Frieden macht.«
Ich könnte ihn zwingen, noch jeder hat gesungen, wenn man den dritten Grad anwandte, dachte Brenski. Er stand auf. »Wir werden siegen, Colonel. Und es wird ein neues Spanien aus den Ruinen wachsen, ein Spanien der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.«
»Die hat Napoleon uns auch versprochen, als er in unser Land einfiel. Aber wir haben ihm nicht geglaubt. Und wir haben gegen ihn gekämpft.« Jetzt lächelte er, und in seine Augen kam ein stolzer Glanz. »Nicht aus der
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