Der Gesang von Liebe und Hass
bei einem Mädchen oder einer Frau gefunden hatte. Sie verloren sich in diesem Kuß, und es war, als wollten sie aus der Tiefe, in die sie hinabsanken, auch nie mehr zurückkommen.
Denn das Zurückkommen bedeutete das Leben.
Und wie lange konnte das Leben eines desertierten Soldaten und einer geflüchteten Nonne noch dauern?
Am Südhang des Berges fanden sie einen Überhang aus Fels, direkt neben einem kleinen Bach. Um den Fels herum wuchsen hohe Kiefern, das Unterholz war fast undurchdringlich, und man konnte die Höhle, die durch den Felsüberhang gebildet wurde, nur auf einem steilen Pfad erreichen, über den Brenski in Schienbeinhöhe eine dünne Kordel spannte, als Stolperdraht, der sie zeitig genug alarmieren würde, wenn sie unerwünschten Besuch bekamen.
Als er sich davon überzeugt hatte, daß man die Höhle von keiner Seite einsehen konnte, entfachte er aus Reisig, das er im Wald sammelte, ein kleines Feuer, gerade mit der richtigen Glut, um Fleisch am Spieß darüber zu rösten. Er schnitt die Leber des Rehs in gleiche Teile, grillte sie auf seinem Dolch. Maria Christina schien an alles gedacht zu haben. Sie holte auch kleine Leinensäcke mit Salz und Pfeffer aus dem Sack der Schwester Augusta, der üblicherweise vom Kloster für die ›Betteltouren‹ benutzt wurde, wie Maria Christina sie innerlich genannt hatte und die von der Schwester Oberin damit gutgeheißen wurden, daß Betteln im Dienste Jesu ein Zeichen für Demut sei.
Die Leber schmeckte überraschend gut. »Wie im besten Restaurant in Berlin«, sagte Brenski und lachte leise.
»Wie im besten Restaurant in Córdoba«, erwiderte sie.
»Und wie heißt das?«
»Caballo Rojo.«
»Das rote Pferd?«
Sie nickte. »Dorthin hat mich mein Vater oft mitgenommen, als ich in die Flegeljahre kam, wie man das wohl nennt.«
»Pubertätsjahre. Backfischjahre. Die Zeit zwischen dem Kindsein und dem Frausein.«
»Er nahm mich bei der Hand, und ich durfte mir am Büfett die Vorspeisen aussuchen. Und weißt du, was ich mir immer als Vorspeise ausgesucht habe?«
Er blickte sie erwartungsvoll an, froh, daß sie ihre Angst und Scheu überwunden zu haben schien.
»Erdbeertorte!«
»Aber das ist doch ein Nachtisch!«
»Eben.«
Sie lachten beide leise. Sie aßen von der Leber und von dem Brot, das Maria Christina mitgebracht hatte, und sie tranken Wasser aus dem kleinen Bach und Wein aus dem Krug, den Maria Christina auch mitgebracht hatte.
»Im Organisieren bist du ja nicht zu übertreffen.«
»Das habe ich zu Hause gelernt. Manchmal fiel es meinem Vater von einer Minute auf die andere ein, daß er auf die Jagd gehen wollte, für Tage vielleicht, und dann mußte ich alles organisieren, flink, flink, die Mädchen herumscheuchen, daß alles richtig gemacht wurde, denn meinem Vater konnte es keiner gut genug machen, außer mir.«
»Du mußt mir viel von dir erzählen«, sagte Brenski, während er losen Sand auf das Feuer warf, um es zu löschen.
»Und du mir auch.«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen.«
»Hast du Brüder, Geschwister? Deine Eltern, wo sind sie?«
»Ich habe keine Brüder und keine Schwestern, mein Vater ist seit fünfzehn Jahren tot und meine Mutter seit vierzehn Jahren. Sie ist an Kummer gestorben.«
Maria Christina fragte ihn nicht weiter.
Er ging zum Bach, wusch seinen Dolch ab. Er legte die Decke mit dem Rehfleisch zwischen zwei Steine, damit es vom darunter fließenden Wasser des Bachs gekühlt werden konnte. Am Morgen wollte er alles braten, damit es sich hielt.
»Schlaf jetzt«, sagte er, als er zurückkam. »Ich wecke dich in vier Stunden. Dann mußt du wachen. Wir können nicht beide zur gleichen Zeit schlafen.«
Sie nickte.
Er rollte den Schlafsack aus seinem Sturmgepäck auf, sie schlüpfte hinein, blickte ihn an, lange, dann sagte sie: »Gute Nacht.«
Er beugte sich über sie, küßte sie, zart und ohne Begehren, auf den Mund: »Gute Nacht.«
Ein Aufleuchten ging über ihr Gesicht, und er konnte sich denken, was sie dachte: daß er ihre Situation nicht gleich in der ersten Nacht ausnützte.
»Schlaf gut.«
Er schob ihr seine zusammengerollte Jacke unter den Kopf.
»Dir wird zu kalt.«
»Aber nein. Ich halte mich durch deine Nähe warm.«
Sie lachte leise. Dann drehte sie sich zum Felshang hin, und nach wenigen Minuten schon zeigten ihre regelmäßigen Atemzüge, daß sie eingeschlafen war. Kein Wunder, denn dies war wohl der aufregendste Tag ihres Lebens gewesen.
Brenski setzte sich mit dem Gesicht zum
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