Der Gesang von Liebe und Hass
silbernen Bechern.
»Erlauben Sie mir, mit Ihnen eine kleine Erfrischung zu teilen.«
Die kleine Erfrischung war echter schottischer Whisky, wie ihn der Oberst seit Beginn des Krieges nicht mehr zu schmecken bekommen hatte.
»Erlauben Sie mir, auf Ihr Wohl, Herr General!«
»Auf Ihr Wohl, Oberst Delguado!«
Sie tranken, der General strich sich mit der Rückhand seines grauen Wildlederhandschuhs über die Enden des silberweißen Schnurrbarts.
»Sie haben alles noch einmal überprüft? Ich möchte meinem Freund in, hm, Córdoba etwas Günstiges ausrichten, wenn ich kann.«
»Wir haben alle Novizinnen identifizieren können. Es fehlt, wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, eine einzige von ihnen, Maria Christina de Valquez y Ortega.«
Der General blickte zur Sierra hoch. »Glauben Sie, daß sie dem Massaker entfliehen konnte?«
»Ich weiß es nicht, Herr General.«
»Ein Mädchen, allein in den Bergen … Nun, es ist ein außergewöhnliches Mädchen, so hat man mir gesagt, und wundern würde es mich nicht. Sie hat einmal mit meinem Sohn Tennis gespielt und ihn dreimal hintereinander geschlagen. Und dabei war der stolze Francesco Jugendmeister von Santander.«
»Es ist schwer, sich vorzustellen, wie ein Mädchen zwischen den Fronten leben könnte. Und wenn sie auf unserem Gebiet wäre, hätte sie sich doch sofort mit ihren Eltern in Córdoba in Verbindung gesetzt.«
»Ja, aber da ist die Aussage dieses Engländers von der Internationalen Brigade, Burrows, nicht wahr? Der will ja gesehen haben, daß sein Kommandeur, ein Sergeant namens Brenski, mit einem Mädchen in die Berge geflüchtet ist, als der Kampf aussichtslos wurde.«
»Gestatten, Herr General«, der Oberst senkte seine Stimme, »aber Burrows hat diese Aussage unter, hm, Druck gemacht.«
Der General blickte den Obersten mit seinen Flintsteinaugen scharf an. »Druck? Davon weiß ich nichts. Bei mir im Korps wird auf niemanden Druck ausgeübt, zuallerletzt auf die Gefangenen, obwohl sie diese Milde nicht verdient haben.« Er trank seinen silbernen Becher leer, reichte ihn dem Fahrer zurück.
»Also, ich werde meinen Freunden in Córdoba Nachricht zukommen lassen, daß dieses Mädchen vermißt ist und möglicherweise noch lebt.«
»So könnte man sagen, jawohl, Herr General!«
Der Oberst grüßte, der General stieg in den Wagen, die Limousine wendete, wirbelte im Anfahren eine Staubfahne auf, die dem Obersten die Sicht nahm. Er blieb stehen, bis der Wagen um die Wegbiegung hinter dem Korkeichenhain verschwunden war.
Die entwaffneten Marokkaner waren dabei, die Gräber der Erschossenen zuzuschaufeln. Sie wurden von Fremdenlegionären mit aufgepflanztem Bajonett bewacht.
Der Oberst ging zu der Stelle hinüber, wo der General achtlos die Orden und die Schulterstücke des toten Majors fallen gelassen hatte. Er hob sie auf, rieb mit dem Ärmel seiner Uniformjacke über die drei Tapferkeitsmedaillen, über das silberne Kreuz von Santiago und über das Verwundetenabzeichen. Er befühlte die Schulterstücke, als hielte er so etwas zum erstenmal in der Hand.
»Sergeant Beckers!«
Beckers kam heran, klackte mit den Hacken.
Ein Germane. Ein echter Deutscher. Fast hätte der Oberst gelächelt. Das zu kurz geschnittene blonde Haar, die Eifrigkeit, das Klacken der Hacken, ja, das konnte er. Aber Sergeant Beckers konnte auch noch mehr: Er konnte in aussichtsloser Lage kämpfen.
›Und warum?‹ hatte der Oberst ihn einmal bei einem ›Kameradschaftsabend‹ von Offizieren und Unteroffizieren gefragt; das waren im übrigen Abende, die innerlich von den Offizieren, Söhnen des Adels oder begüterter Familien, den ›Señoritos‹, wie man sie nannte, strikt abgelehnt wurden. Aber Franco hatte, um seiner Armee den Anstrich einer ›Volksarmee‹ zu geben, darauf bestanden, daß sich das Offizierskorps nicht abseits halte.
›Warum?‹ hatte Beckers zurückgefragt. ›Weil ich dafür bezahlt werde.‹
Ein echter deutscher Landsknecht. Kein Führer-Verehrer und nordischer Gläubiger, wie die meisten Deutschen, die bei der Legion Condor dienten, sondern schlicht ein Landsknecht.
»Sorgen Sie mir dafür, daß Capitán Lorenco Martéz ein anständiges Begräbnis bekommt.«
Der Tote lag unter einer Zeltplane.
»Jawoll, Herr Oberst.«
Umgedreht, Hacken geklappt, Befehle gebrüllt.
Der Oberst konnte nicht anders. Trotz des traurigen Anlasses mußte er lächeln.
Auf dem Weg in die Sierra, ins Stabsquartier, konnte er die Limousine des Generals, zwischen dem
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