Der Gesang von Liebe und Hass
dessen Glut hielten die Frauen niedrig, damit nicht zuviel Rauch aufstiege und einem geübten Beobachter verraten würde, daß jemand in der Hütte war.
Die noch kindhaft junge Agostina hatte sich vor dem Feuer zusammengerollt und war bald eingeschlafen; die vier anderen Frauen hatten es sich in der Schlafkammer bequem gemacht.
Mama Elena holte ein Strickzeug aus einem der schier unerschöpflichen Vorratspacken, und die Nadeln zwitscherten flink und blitzend durch die grobe, graubraunmelierte Wolle.
Die Wolle erinnerte Maria Christina an ihren Habit im Kloster, und sie spürte, wie es ihr kalt den Rücken hinunterrann.
Sie empfand auch eine dumpfe Furcht. Zum erstenmal, seit sie das Kloster verlassen hatte, dachte sie: Wenn ich nun dafür bestraft werde, wenn Gott mich straft, indem er mir Brenski nimmt?
Sie hatte noch nie um einen Mann fürchten müssen, und jetzt war es um so schlimmer. Sie besaß keine Kraft, sich dagegen zu wehren. Nach einer Weile zitterte sie so stark, daß sie aufstand und zur Tür ging.
»Wo willst du hin?« fragte Mama Elena.
»Ein bißchen Luft schöpfen. Mir ist übel.«
Die alte Frau schaute sie aufmerksam an. »Es ist die Angst um deinen Alemán, nicht wahr?«
Maria Christina nickte stumm.
»Denk daran, daß in dieser Nacht Hunderte, was sage ich, Tausende Frauen um ihre Männer bangen. Du bist nicht allein.«
»Aber wenn ihm etwas geschieht?«
»Ich habe dir doch gesagt, es wird ihm nichts geschehen.«
»Aber wenn doch …«
»Man kann mit seinen Gedanken Unglück heranziehen, also denke lieber daran, wie es ist, wenn du bei ihm liegst.«
»Ich habe noch nicht …«
Mama Elena lachte leise. »Warum schämst du dich? Warum willst du es verbergen? Es ist das Natürlichste von der Welt, daß eine Frau bei einem Mann liegt und es genießt, ja, daß sie seinen Körper genießt, seine Hände und das, was er in sie hineinsteckt, wenn es groß und stark ist, und man alles andere darüber vergißt. Und ich kann dir ansehen, daß es bei euch beiden so ist. Ich kann es in deinen Augen sehen, daran, wie du dich hältst, wenn er bei dir ist.«
»Ich glaube, meine Mutter hat es nie genossen«, sagte Maria Christina. »Ich glaube, sie hielt es nur für ihre Pflicht als Gattin.«
»Die Ärmste. Ja, aber so werden sie erzogen, die Mädchen der großen, feinen Familien. Weshalb nehmen sich denn gerade die reichen Männer schon bald nach ihrer Heirat, wenn der erste Sohn geboren ist, eine Geliebte? Weil man ihre eigenen Frauen zu steifen Brettern gemacht hat, auf denen es unbequem ist zu liegen.«
»Aber wenn nun Agostina erwacht und dich hört, sie ist doch noch so jung?«
»Hört sie etwa Lügen? Meinst du etwa, ich verdürbe sie?«
»Nein, das nicht, aber …«
»Was aber? Ich habe ihr längst gesagt, wie das mit den Männern ist. Und ich habe sie längst gelehrt, darauf zu achten, daß sie nicht an den Falschen gerät.«
»Wo kommt sie eigentlich her? Sie ist so scheu.«
»Aus einem Waisenhaus in Valencia. Ihre Eltern hat sie nie gekannt, nie ihren Namen erfahren. Im Waisenhaus hat man sie auf den Namen Agostina getauft. Und als der Krieg ausbrach, ist sie geflüchtet. Viel mehr als im Waisenhaus bekommt sie bei uns auch nicht zu essen und bessere Kleider schon gar nicht, aber sie weiß, daß wir sie alle gern haben. Wir sind für sie ihre Familie geworden.«
»Aber El Corazón hat gesagt, jeder in eurer Gruppe habe eine bestimmte Fertigkeit, eine bestimmte Aufgabe. Was ist die ihre?«
»Es gab Zeiten, da wir jemand zu den Nacionales schicken mußten. Zum Auskundschaften. Sie gab sich dann immer als verirrte Waise aus, die nicht wußte, wohin sie sich wenden sollte. Du solltest sie sehen, wenn sie die Hilflose spielt; ein ärmeres, unglücklicheres Wesen käme dir nie in den Sinn. Und so haben die Soldaten der Nacionales sie mit Proviant versorgt, den wir immer gut gebrauchen konnten, und auch mit Auskünften, die wir noch dringender brauchten, denn sie wollten Agostina immer mitnehmen, und so erfuhren wir, in welche Richtung sie sich wenden würden und wann. Und sie ist flink dazu, denn sie entkam ihnen jedesmal. Ich war nur einmal in meinem Leben in einem Theater und zweimal in einem Kino, aber schau dir Agostina bei Tageslicht einmal genau an, und du wirst sehen, daß aus ihr eine große Schauspielerin werden könnte. Davon träumt sie auch, das weiß ich, und vielleicht, wenn dieser Krieg vorüber ist, wird es ihr gelingen. Denn den Willen dazu hat sie.«
»Ich
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