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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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zusammen. Ich glaube außerdem, daß ich schönere Weihnachtsgeschenke von ihnen bekam als andere Kinder von ihren Eltern. Ich bekam immer die doppelte Menge. Meine Eltern konnten
    sich nie über die Geschenke einigen, im Gegenteil, ich glaube, sie wetteiferten darum, von wem die schöneren stammten. Gegenseitig schenkten sie sich nichts.
    Mein Vater ging mit mir zum Schlittschuhlaufen und zum Skispringen. Er war Experte, was Rundenzeiten und Haltungsnoten anging. Es ist nicht seine Schuld, daß ich so ganz anders geworden bin. Wir gingen zum Holmenkollen und sahen die drei T: Toralf Engan, Torbj0rn Yggeseth und Torgeir Brandtzsg. Sie sprangen lange vor Wirkola. Das war einfach. Es war wirklich kein Problem, vor einem As wie Wirkola zu springen.
    Als ich acht Jahre alt war, durfte ich mit meinem Vater mit der Fähre nach Kopenhagen fahren. Wir verbrachten dort nur einen Abend, aber an diesem Abend gingen wir in den Tivoli. Ich glaubte, schon einmal auf einem Tivoli gewesen zu sein, aber der in Kopenhagen war doch etwas ganz anderes als »Ivars Tivoli« in Oslo. Ich kam mir vor wie ein Reisender aus einem Entwicklungsland. Ich malte mir voller Entsetzen aus, was dänische Kinder wohl über uns dachten, wenn sie »Ivars Tivoli« in Oslo besuchten.
    Vater war gut gelaunt, ich glaube, er war ein wenig stolz auf sich, weil er mich aus dem Land und in sichere Entfernung zu Mutter gebracht hatte. Auf dem Schiff hatte er großspurig erklärt, Mutter täten einige Tage der Ruhe sicher gut. Das stimmte nicht, ich war ganz sicher, daß sie auch gern nach Kopenhagen gefahren wäre, aber davon konnte natürlich keine Rede sein, der Vorschlag stammte schließlich von ihm. Ich glaube, Vater wußte, daß ich am liebsten mit Mutter in den Tivoli gegangen wäre. Dann hätten wir zwischen den vielen Menschen umherwandern und uns gegenseitig erzählen können, was wir sahen und woran wir dachten. Mutter und ich dachten oft im selben Moment dasselbe. Oder wir hätten uns in ein Café setzen und uns nett unterhalten können.
    Vater hatte viele dänische Münzen in den Taschen seiner Knickerbockerhose und wollte mit mir Autoscooter und Geisterbahn, Karussell und Achterbahn, Riesenrad und Liebestunnel fahren. Obwohl ich erst acht Jahre alt war, war es mir peinlich, mit Vater durch den Liebestunnel zu fahren. Ich fand es eklig, mit ihm in einem kleinen Wagen zu sitzen und in einem Tunnel voller Papierblumen und Pastellfarben künstliches Vogelgezwitscher zu hören. Ich glaube, auch ihm war es peinlich, er sagte jedenfalls kein Wort. Ich hatte Angst, er könnte plötzlich den Arm um mich legen und zum Beispiel sagen, ach, hier ist es aber schön, findest du nicht, Petter? Das Schlimmste war: Ich war mir sicher, daß er sich nach so was sehnte und sich nur nicht traute, weil er wußte, daß es mir nicht recht sein würde. Vielleicht schwiegen wir deshalb beide.
    Ich setzte mich vor allem Vater zuliebe in die vielen Karussells. Ich selber wäre lieber herumgelaufen, um mir den ganzen Tivoli anzusehen. Ich beschloß, mir alles ganz genau einzuprägen, bis zur kleinsten Losbude und zum letzten Würstchenstand. Ich hatte von Anfang an gewußt, daß dieser Besuch viel Nacharbeit erfordern würde, und freute mich darauf, bald nach Hause zu fahren und den besten Tivoli aller Zeiten zu erfinden. Wie gesagt, zeichnete ich damals schon nicht mehr, um so mehr mußte ich mich konzentrieren. Ich schaffte es, obwohl ich ab und zu auch meinen Vater ansehen und etwas zu ihm sagen mußte: er sollte keinesfalls glauben, ich sei unzufrieden. Als wir gerade gehen wollten, gewann ich einen roten Stofftiger. Ich schenkte ihn einem weinenden Mädchen, und Vater hielt mich für einen lieben Jungen, weil er nicht begriff, daß ich gar keinen roten Stofftiger haben wollte. Wenn Mutter mich damit gesehen hätte, hätte sie einen ihrer typischen Lachanfälle bekommen.
    Noch im Tivoli entwarf ich eine Geisterbahn mit baumelnden Skeletten und Geistern und Ungeheuern, aber mitten hinein stellte ich einen quicklebendigen Menschen. Es sollte ein ganz normaler Mann mit Hut und Mantel sein, der zum Beispiel an einer Möhre knabberte. Ich stellte mir vor, wie die Passagiere der Geisterbahn ganz besonders schrill schrien, wenn ihnen plötzlich ein echter Mensch begegnete.
    In gewissen Situationen kann der Anblick eines Menschen ebenso beängstigend sein wie der eines Gespensts, und auf jeden Fall in einer Geisterbahn. Gespenster sind pure Phantasie; wenn darin etwas Wirkliches

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