Der Geschichtenverkäufer
gar keine echte Frau saß, die einem die Zeit mitteilte, und behauptete, ich hätte sie dazu zu bringen versucht, mir zu antworten. Danach war alles verziehen. Davon war ich ausgegangen. Wir verabredeten, daß ich von nun an pro Tag nur noch zweimal anrufen dürfte, und daran hielt ich mich, ich empfand es nicht einmal als Verlust. Jetzt mußte ich mir genau überlegen, mit wem ich reden wollte. Das war ein Schritt vorwärts. Mir auszudenken, wer als nächstes an die Reihe kommen sollte, war fast so witzig wie der Anruf selber. Danach habe ich nie wieder Gebühreneinheiten verschwendet.
Ich bin zu fünfzig Prozent sicher, daß ich einmal mit dem Ministerpräsidenten Einar Gerhardsen gesprochen habe. Aber es kann sich dabei genauso gut um erinnerte Phantasie handeln. Dagegen bin ich mir hundertprozentig sicher, daß ich bei den Nora-Fabriken angerufen und mich beklagt habe, ich hätte eine Flasche Orangenlimonade gekauft, die nach Essig schmeckte. Das weiß ich mit Sicherheit, denn einige Tage später wurde ein ganzer Kasten
Limonade bei uns abgeliefert. Meiner Mutter erzählte ich, ich hätte ihn bei einer Verlosung im Laden gewonnen. Sie stellte viele Fragen, und mir war es recht, denn so mußte ich mir immer neue Antworten ausdenken. Ich glaube, daß auch Mutter diese Gespräche gefielen. Sie ließ erst locker, wenn sie sich ganz sicher war, daß ich die Wahrheit sagte.
Einmal führte ich ein interessantes Telefongespräch mit König Olav. Wir verabredeten uns zu einer langen Skiwanderung, weil wir beide niemanden hatten, mit dem wir gern loszogen. Er sagte, er finde das Leben als König langweilig, dann fragte er mich, ob ich es für kindisch halten würde, wenn er sich eine riesengroße elektrische Eisenbahn kaufte und sie im Ballsaal des Schlosses aufbaute. Ich sagte, das sei eine hervorragende Idee und ich wolle ihm beim Aufstellen helfen. Er mußte mir versprechen, daß es eine Märklin-Bahn sein würde und sie mindestens viermal so groß war wie die elektrische Eisenbahn im technischen Museum. Ich wußte, daß der König viel mehr Geld hatte als das technische Museum. Ich selber hatte eine Dampfmaschine und einen Mekano-Baukasten, aber keine Märklin-Bahn.
Ich bin mir neunundneunzigprozentig sicher, daß die Sache mit dem König eine erinnerte Phantasie ist. Sie kann aber trotzdem wahr sein. Die elektrische Eisenbahn, die der König und ich in den folgenden Wochen im Schloß aufstellten, ist so wahr wie die Sonne und der Mond. Ich sehe sie noch ganz genau vor mir, die vielen Tunnels und Brücken, die Weichen und die Nebengeleise. Am Ende hatten wir über fünfzig verschiedene Lokomotiven, und fast alle hatten Licht.
Eines Tages kam der Kronprinz in den Ballsaal und verlangte, daß wir alles wegräumten, weil er in dem großen Saal eine Party veranstalten wollte. Der Kronprinz war fünfzehn Jahre älter als ich, und ich brachte ihm ziemlichen Respekt entgegen, trotzdem fand ich es nicht richtig, daß er dem König plötzlich Befehle erteilen wollte. Es verstieß einfach gegen Sitte und Brauch. Als der König und ich erklärten, daß wir die Eisenbahn nicht sofort abbauen wollten, holte der Kronprinz eine Flasche Kefir und warf sie in die Anlage. Die Flasche zerbrach natürlich, und die ganze Eisenbahn schwamm in saurem Kefir; es sah aus wie eine Winterlandschaft, roch aber leider nicht so. Seit damals fahren im Schloß keine Züge mehr.
Weil meine Mutter im Rathaus arbeitete, bekam sie oft Freikarten fürs Kino oder Theater. Es waren immer zwei, und da sie und mein Vater einander nicht ausstehen konnten, mußte ich dann mit ihr gehen. So brauchte sie sich auch keinen Babysitter zu suchen. Ich hatte schon zu viele Babysitter verschlissen.
Wenn wir ins Theater gingen, machten wir uns fein. Mutter veranstaltete gern kleine Modenschauen für mich, bevor sie sich entscheiden konnte, welches Kleid oder Kostüm sie tragen wollte. Sie nannte mich ihren kleinen Kavalier, und ich half ihr aus dem Mantel und gab ihn an der Garderobe ab. Ich hatte Streichhölzer in der Jackentasche und gab ihr Feuer, und wenn sie sich in der Pause in ein Gespräch verwickelte, stellte ich mich an, um etwas zu trinken zu besorgen. Einmal bat ich um Limonade für mich und ein Glas Cinzano für Mutter. Aber die Frau hinter dem Tresen wollte mir den Cinzano nicht geben, obwohl Mutter nur wenige Meter von mir entfernt stand und ihr heftig zuzwinkerte. Die Frau sagte, sie dürfe Kindern keinen Alkohol verkaufen, Mutter müsse ihr Glas
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