Der Geschichtenverkäufer
her lief und mit seinem dünnen Spazierstock in die Luft hieb. Er war sauer.
Ich war über achtzehn, und Vater meinte, ich solle die Wohnung behalten, auch wenn Mutter nicht mehr lebte. In der darauffolgenden Zeit sahen wir einander weiterhin einmal pro Woche. Im zeitigen Frühling fanden wir dann, daß ein Treffen pro Monat auch reichen müßte. Wir waren über gemeinsame Besuche von Eisschnellauf- und Skisprungwettbewerben hinausgewachsen. Es gab auch keine Fahrten durch den Liebestunnel mehr. Vater lebte noch lange, er wurde über achtzig.
Ich weiß noch, daß ich in den Wochen nach Mutters Tod immer wieder dachte: Mutter sieht mich nicht mehr. Wer sieht mich jetzt?
Maria
I ch vergaß Mutter nicht, ich könnte sie nie vergessen, aber ich fand es schön, die Wohnung für mich zu haben. Nicht viele in meinem Alter hatten damals eine eigene Wohnung.
Für eine kurze Zeit hatte ich niemanden, mit dem ich ins Kino und Theater gehen konnte, das fehlte mir, aber bald begann ich Mädchen dazu einzuladen. Das machte mir keine Probleme. Ich fand es nicht weiter schwer, auf dem Schulhof irgendwelche Mädchen anzusprechen und zu fragen, ob sie mit mir ins Kino oder ins Theater gehen wollten. Manchmal lernte ich auch welche im Bus, im Laden oder in der Stadt kennen. Ich sprach lieber Unbekannte als Mädchen aus meiner Klasse an. Man hätte es mißverstehen können mit wohl unangenehmen Folgen. Obwohl ich die Mädchen, die ich einlud, nicht kannte, verriet mir ihr Aussehen doch immer ein wenig über sie, außerdem war nicht schwer zu erraten, wie alt sie ungefähr sein mußten.
Ich fand es leicht, mit Mädchen ins Gespräch zu kommen, und holte mir nur selten einen Korb. Sie lachten, aber so, wie ich mich ausdrückte, fanden sie es überhaupt nicht seltsam, daß ich sie ins Kino oder ins Theater einlud, obwohl wir noch nie miteinander gesprochen hatten. So, wie ich mich ausdrückte, mußten sie sich wie auserwählt vorkommen. Was sie schließlich auch waren - ich lud längst nicht jede ein, die mir über den Weg lief.
Es gefiel den Mädchen, daß ich meine eigene Wohnung hatte. Eine nach der anderen lud ich zu Käse und Rotwein oder Bier und Rührei ein. Manchmal übernachteten sie, aber nur ausnahmsweise mehr als einmal. Wenn ich eine mehrmals zu Besuch kommen ließ, riskierte ich Szenen, wenn dann doch Schluß war. Es konnten sich Erwartungen entwickeln, die ich nicht erfüllen konnte, ich mußte Rede und Antwort stehen und hätte liebend gern darauf verzichtet, obwohl es mir nie schwerfiel, mir Gehör zu verschaffen.
Keine trug es mir nach, wenn sie nur zu einem Theaterbesuch, einem Abend und einer Übernachtung eingeladen wurde. Die Probleme ergaben sich erst nach dem vierten oder sechsten Mal. Das war paradox. Ein Mädchen, das nur einmal bei mir übernachtet hatte, war in der Regel zufrieden mit dem, was ich hatte bieten können. Sie erzählte es auch nicht überall herum, denn meistens war es ihnen peinlich, eine Nacht bei einem gänzlich Unbekannten verbracht zu haben. Doch sobald sie sich einer zweistelligen Zahl von Besuchen näherten, begannen sie sich zu beklagen, sprachen mit Freundinnen und hielten es fast für selbstverständlich, daß die Anzahl der Übernachtungen irgendwann auch drei- und vierstellig würde.
Ich habe, um das klarzustellen, die Mädchen nie belogen. Ich habe ihnen nie ein Abendessen versprochen, ehe wir nicht im Kino oder im Theater gewesen waren, ihnen nie das Bett versprochen, ehe wir nicht zu Abend gegessen hatten, und ihnen nie die Möglichkeit einer Wiederholung vorgespiegelt. Ich konnte großzügig Komplimente machen und wußte meinerseits die Komplimente der Mädchen zu schätzen; aber ich deutete niemals an, daß ich sie mir wünschte oder daß ich mich für einen längeren Zeitraum verpflichten könnte. Um Mißverständnissen vorzubeugen, betonte ich, wenn ich einem Mädchen ein Handtuch, eine Zahnbürste oder auch Mutters alten Bademantel lieh, es sei zwar nett, bis zum nächsten Morgen Besuch zu haben, sie solle die Sache aber bitte nicht überbewerten, denn mehr als ein netter Besuch sei es auch wieder nicht. Wenn ein Mädchen mir besonders gut gefiel, erschien es mir als geradezu heilige Pflicht, ihr klar zu sagen, daß ich mich keinesfalls binden wollte. Das machte Eindruck, nicht eine stürzte deshalb empört davon. Wir wissen etwas, von dem wir keine Wiederholung erwarten können, oft mehr zu schätzen als das, wovon wir glauben, daß es für immer so weitergehen
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