Der Geschichtenverkäufer
der Riesenauswahl auch zum Beispiel für einen Roman entscheiden sollen?
Ich hätte es niemals geschafft, einen Roman zu schreiben, dazu hatte ich viel zu viele Ideen. Schon wenn ich mir Notizen machte, wurde ich immer wieder aus meinen Überlegungen gerissen, weil neue, oft viel bessere Ideen auftauchten als die, mit denen ich angefangen hatte. Romanautoren verfügen über eine ganz eigene Fähigkeit, sich über lange Zeit, oft über Jahre hinweg, auf ein und dieselbe Handlung zu konzentrieren. Mir war das zu einseitig, es lenkte zu sehr ab, war mir zu eskapistisch.
Und wenn ich die Fähigkeit besessen hätte, hätte ich wahrscheinlich keine Lust dazu gehabt. Mir hätte die Motivation gefehlt, einen ganzen Roman zu schreiben, nachdem die Idee dazu schon ihren Platz in einem Notizbuch oder Ordner gefunden hatte. Mir ging es immer darum, so viele Ideen wie möglich zu sammeln, das, was ich später als Sujets und Synopsen bezeichnet habe. Ich bin vielleicht mit einem Jäger zu vergleichen, der es wunderbar findet, seltene Tiere zu jagen, der aber nicht dabeisein will, wenn die Beute zerteilt, gekocht und verzehrt wird. Es kann sich bei einem solchen Jäger sogar um einen Vegetarier handeln. Es ist kein Widerspruch, zugleich ein tüchtiger Schütze und Vegetarier zu sein, und sei es nur, weil man Diät halten muß. Es gibt auch viele Angler, die keinen Fisch mögen. Trotzdem können sie stundenlang dastehen und die Angel auswerfen, und wenn sie einen fetten Fisch fangen, verschenken sie ihn schnell an Freunde oder jemanden, der zufällig vorüberkommt. Die Elite unter den Anglern geht sogar noch weiter und wirft den Fisch zurück ins Wasser. Man angelt schließlich nicht, um ein paar Kronen im Haushaltsbudget zu sparen. Bei der catch and release - Anglerei geht es ausschließlich ums Vergnügen. Angeln als raffiniertes Spiel, als edle Kunst betrachtet. Ich muß dabei an Ernst Jünger denken. In einem seiner Kriegstagebücher schreibt er, wir sollen nicht traurig sein, wenn uns ein Gedanke entschlüpft. Dieser Gedanke sei wie ein Fisch, der vom Haken springt und in der Tiefe verschwindet, um eines Tages wohlgenährt wieder aufzutauchen ... Wenn wir ihn dagegen an Land ziehen, ihn ausnehmen und in einen Plastikeimer werfen, ist für ihn jede weitere Entwicklung beendet. Exakt dasselbe läßt sich von einer Romanidee sagen, wenn sie in mehr oder weniger gelungener Form ausgearbeitet und zu Papier gebracht wird, von der Veröffentlichung ganz zu schweigen. Vielleicht ist das kulturelle Leben geprägt von zuviel catch und zu wenig release.
Es gibt noch einen anderen Grund, aus dem ich nie einen Roman, aus dem ich überhaupt nie »geschrieben« hätte, wie man sagt: Ich fand Schreiben einfach eitel. Schon als kleiner Junge fürchtete ich mich davor, affektiert zu wirken, ich fürchtete mich davor mindestens so sehr wie davor, daß mein Vater im Liebestunnel süßliche Reden führen könnte. Wenn ich in meiner Kindheit etwas haßte, dann, daß jemand mir die Haare oder die Wangen streichelte. Ich fand es unnatürlich, ich wußte nicht, wie ich auf solche Annäherungsversuche reagieren sollte.
Ich will damit nicht sagen, daß ich es für eine schlechte Eigenschaft halte, eitel zu sein, im Gegenteil, ich liebe eitle Menschen, sie haben mich immer sehr amüsiert. Nur eitle Menschen werden für mich noch von offen posierenden oder in sich selbst verliebten übertroffen. Wenn viele Menschen an einem Ort zusammenkommen, suche ich mir rasch die selbstverliebtesten aus; man entdeckt sie leicht, es wäre ebenso schwierig, einen Pfau mit geöffnetem Rad zu übersehen. Ich finde es witziger, mit ein wenig aufgeblasenen Menschen zu sprechen, als mit Leuten, deren eher bläßliches Ego sich hinter einem höflichen Interesse an anderen verbirgt. Eitle Menschen geben sich Mühe, so witzig und unterhaltsam wie möglich zu sein. Sie liegen nicht auf der faulen Haut. Sie ziehen lieber alle Register.
Mir selber hat es an Eitelkeit immer vollständig gefehlt, leider. Meine Umgebung hat das wahrscheinlich gelangweilt, aber damit mußte ich leben. Ich hätte es mir niemals erlaubt, mich in den Vordergrund zu drängen. Andere zu langweilen, mag ein Fehler sein, aber ich habe mich noch nie nach den Bedürfnissen anderer gerichtet. Ich will nicht behaupten, ich sei tüchtig, aber ich kann auch nicht leugnen, daß man mich als tüchtig bezeichnen könnte.
Ich wäre also nie eitel genug gewesen, einen Roman oder einen Band Erzählungen zu
Weitere Kostenlose Bücher