Der Geschichtenverkäufer
Haus.
Ein- oder zweimal kam es vor, daß eine, die bei mir übernachtet hatte, den Blick abwandte, wenn wir uns auf der Straße begegneten; aber damals gab es in Oslo so viele Mädchen, daß ich niemals Rekrutierungsprobleme hatte. Zu Beginn der 90er Jahre nahm auch niemand einen Übernachtungsbesuch sonderlich ernst. Ich weiß noch, daß ich dachte, ich sei genau zur richtigen Zeit geboren worden. Zwanzig Jahre zuvor hätte ein Mann in meinem Alter eine eigene Wohnung kaum so gut nutzen können.
Ich hatte schon in der Schulzeit viele Mädchen in der Stadt gekannt, aber ich war noch nie verliebt gewesen. Ich kam mir dafür schlichtweg zu erwachsen vor, jedenfalls fühlte ich mich zu reif für die Mädchen, mit denen ich zusammen war. Hier machte sich immer stärker ein gewisser Zwiespalt geltend. Für ihre Körper fühlte ich mich nicht zu erwachsen, überhaupt nicht. Aber eine Frau ist nicht nur ein Körper, und ein Mann ebensowenig. Ich war überzeugt, eines Tages würde mir schon noch die Frau begegnen, die ich mit Leib und Seele lieben könnte. Vielleicht fing ich deshalb an, lange einsame Spaziergänge zu machen. Einmal mußte ich sie finden, und wenn sie so war wie ich, dann würde das nicht in einer Disko oder bei einer Jugendorganisation passieren können. Da war es schon wahrscheinlicher, daß sie mir auf einer Skihütte oder in der freien Natur über den Weg laufen würde. In Wirklichkeit traf ich sie im Juni, mitten im Wald auf Ullevalseter.
Im Kindergarten hatte ich gern in einer Ecke gesessen und den anderen Kindern beim Spielen zugesehen. Jetzt waren die Kinder groß, fast erwachsen, und ich fand ihre Spiele weniger spannend. Von ihren Partys und Feiern ganz zu schweigen. Ein paar Wochen lang war es nicht leicht, Theaterbesuche und Übernachtungen zu arrangieren. Es war die Zeit der Abiturfeiern.
Also machte ich lange Waldspaziergänge in der Umgebung von Oslo. Ich nahm auch den Zug nach Finse, um auf der Hardangervidda zu wandern, und ich stieg nach Aurlandsdalen hinab und fuhr von Flam aus mit der Bahn nach Hause. Ich fuhr gern mit dem Zug, ich sah mir die Mitreisenden an und hing meinen Gedanken nach, während wir durch die Landschaft rollten. Die Schule lag hinter mir, in einigen Wochen würde ich es schriftlich haben, daß ich in Sport eine 3 und in allen anderen Fächern eine 1 erreicht hatte. Ich hatte nichts anderes zu tun, als zu wandern und mit der Bahn zu fahren. Mein Vater würde mir noch bis zum 15. September Unterhalt zahlen.
Wenn ich allein unterwegs war, hatte ich immer Bleistift und Notizblock bei mir. Im Gehen konnte ich besonders gut nachdenken. Natürlich tat ich das die ganze Zeit, aber das hemmungslose Fabulieren fiel mir leichter, wenn ich mich durch die freie Natur bewegte, als wenn ich in meiner Wohnung im Sessel saß. Von Schiller stammt der Satz, daß der Mensch beim Spielen frei werde, da er dann seinen eigenen Gesetzen folge. Er hatte damit nicht unrecht, aber die Sache ließ sich natürlich auch auf den Kopf stellen: Es war leichter, mit Gedanken und Ideen zu spielen, wenn ich frei über die Hardangervidda zog, als wenn ich Stunde für Stunde wie ein Vorstadtsklave in meinen vier Wänden auf und ab tigerte. Und da war noch etwas: Meter hielt sich zumeist in der Wohnung auf. Er konnte sich auch in der Stadt zeigen, aber so gut wie nie ließ er sich im Wald oder auf der Hardangervidda blicken.
Ich dachte kühner und frischer, wenn ich unterwegs war, auf diese Weise entstanden immer neue Sujets und Synopsen. Zu Hause legte ich dicke Kataloge und Register meiner Ideen für Novellen und Romane, Theaterstücke und Drehbücher an. Die besten Ideen tippte ich in die Maschine, die Blätter heftete ich in einen Ordner. Danach zog ich sie fast nie mehr hervor, um sie mir noch einmal anzusehen.
Noch immer kam ich nicht auf die Idee, eine meiner Ideen auszuarbeiten. Einen raffinierten Plot zu ersinnen, erschien mir wie ein ausgefallenes Hobby, manchmal auch schon wie ein Gebrechen oder eine Anomalie. Manche Menschen sammeln Münzen oder Briefmarken. Ich sammelte meine eigenen Gedanken und Ideen.
Einmal fing ein Mädchen an, in einem Ordner zu blättern. Sie hatte ihn aus dem Bücherregal im Arbeitszimmer gezogen und las laut daraus vor. Sie durfte nicht bei mir übernachten, sondern mußte sich mit Bier und Rührei begnügen. Seither hielt ich die Ordner und Register in zwei soliden Schränken unter den Bücherregalen im Wohnzimmer unter Verschluß.
Auf dem Weg durch
Weitere Kostenlose Bücher