Der Geschichtenverkäufer
Aurlandsdalen kam mir ein Gedanke. Er war mir ganz neu und hing damit zusammen, daß ich kurz zuvor im Club 7 einen jungen Autor kennengelernt hatte. Er war nur vier oder fünf Jahre älter als ich. Ich hatte ihn zu einer Flasche Wein eingeladen, und wir hatten uns einen ganzen Abend lang unterhalten. Er trug zwar eine fetzige John-Lennon-Brille, die richtige Menge Haare und Bart und einen korrekt verschlissenen Cordanzug, aber er war noch mindestens ebenso kindlich wie meine Altersgenossen, die Abiturienten. Ich zog eine Notiz hervor, die ich mir früher an diesem Tag gemacht hatte, es handelte sich um drei oder vier dicht beschriebene Seiten mit einem raffinierten Romansujet. Ich ließ ihn meinen Text überfliegen, und er war begeistert. Er musterte mich neidisch, dann überschüttete er meinen Entwurf mit wildem Lob. Was mich nicht überraschte: Ich wußte, daß die Romanidee großartig war. Trotzdem machte es mir keine Freude, gelobt zu werden, schon gar nicht von einem so jungen und unerfahrenen Autor; deshalb hatte ich ihm meine Notizen nicht gezeigt. Wenn du den Wein bezahlst, kannst du die Idee haben, sagte ich. Er glotzte mich an. Ich verspreche dir, niemandem zu erzählen, woher du sie hast, aber das kostet dich den Wein und fünfzig Kronen. Er gab mir das Geld zurück, das ich bereits für den Wein bezahlt hatte, und legte noch einen Hunderter dazu. Im Club 7 mußte der Wein bezahlt werden, bevor die Flasche geöffnet wurde. Als ich das Geld einsteckte, entdeckte ich Meter. Er stolzierte wütend zwischen den Tischen einher, fuhr vor unserem Tisch herum und drohte mir mit dem Stock.
Heute ist der junge Mann mit der John-Lennon-Brille einer der führenden Autoren des Landes, vor nicht allzu langer Zeit wurde sein fünfzigster Geburtstag gefeiert. Ich bin ihm später noch viele Male begegnet, inzwischen fließen mir zehn Prozent der Honorare aus seinen Buchverkäufen zu. Aber das wissen nur er und ich.
In Aurlandsdalen blieb ich lange vor einem großen Hexenkessel stehen, der Vetlahelvete genannt wird, Kleine Hölle; hier ging mir zum ersten Mal auf, daß ich mir mit meinen vielen Ideen vielleicht doch meinen Lebensunterhalt verdienen könnte. Mit ihnen besaß ich etwas, das vielen anderen nicht gerade zuflog. Ich war nicht eitel und wollte auch nicht berühmt werden, aber ich brauchte Geld und hatte nicht vor, mir einen Sommerjob zu suchen. Nach dem 15. September würde ich zudem über keinerlei Einkommen mehr verfügen, das hatte mein Vater absolut klargestellt. Ich würde sicher studieren, hatte er gesagt, und alle Studenten hätten Anspruch auf ein Studiendarlehen. Vater wußte nicht, daß ich von einem Studiendarlehen niemals würde leben können, schon die Kosten für die Mädchenbesuche sprengten den Rahmen dessen, was ich von der staatlichen Darlehenskasse erwarten konnte. Wenn ich kein Geld hätte, könnte ich mich außerdem nicht mehr frei bewegen. Diese Vorstellung sagte mir überhaupt nicht zu. Meine plötzliche Eingebung streifte mich eigentlich nur kurz, so, wie Eingebungen eben durch unser Bewußtsein jagen. Wenn ich es überhaupt erwähne, dann nur, weil ich so genau Zeit und Ort des ersten Auftauchens meiner Idee nennen kann. Sie kam mir, als ich in die Vetlahelvete hinunterstarrte. Ich weiß noch, daß ich sie gut fand, mehr noch: ich hielt sie für eine Metaidee, eine Idee, die alle anderen Ideen, die ich je gehabt hatte, umfaßte und ihnen den gebührenden Platz zuwies.
Heute läge es nahe, diese Wanderung durch Aurlandsdalen als Ausgangspunkt für meinen Pakt mit dem Teufel zu betrachten.
Während ich durch die Natur zog, dachte ich oft an die bisher vergangenen Jahre meines Lebens zurück. Etwas war nun zu Ende gegangen, bald würde etwas Neues beginnen. Ich mußte mir einen respektablen, aber anonymen Platz in der Gesellschaft suchen.
Es war diese Zeit, in der mir bewußt wurde, wie schwer mir die Unterscheidung zwischen erinnerter Wirklichkeit und erinnerter Phantasie fiel. Ich verfügte über eine besondere Fähigkeit, lebendige Erfahrungen aus meiner Phantasie zu bewahren; dafür blieben die Erinnerungen an mein wirkliches Leben eher vage. Gelegentlich machte mir das Angst, aber es wäre zu einfach, wollte man daraus schließen, daß ich eine traumatische Kindheit erlebt hätte, die ich nun verdrängen wollte. Mutter hatte meine Kindheit für unglücklich gehalten, sie wußte es nicht besser. Ich selber fand meine Kindheit außergewöhnlich.
Ich weiß noch, wie ich einmal über
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