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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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wird.
    Es war lustig, Besuch von vielen Mädchen zu bekommen, denn jede konzentrierte sich in der Wohnung auf etwas anderes. Manche gingen zum Bücherregal und zogen bestimmte Titel heraus, die sie interessierten, eine, Irene vertiefte sich in die Welt der Kunst, eine namens Randi las laut aus Karl Evangs berühmtem Aufklärungsbuch vor. Als Kind hatte ich dieses Buch verschlungen, inzwischen hielt ich es allerdings für überholt. Ein Mädchen setzte sich sofort an das grüne Klavier und spielte ungeschickt ein Nocturne von Chopin, Ranveig hieß sie, glaube ich, und Turid schlug ein paar einfache Akkorde an und improvisierte Stücke aus Hair. Ungefähr die Hälfte meiner Besucherinnen wollte, kaum daß sie die Wohnung betreten hatten, eine Platte auflegen. Ich hatte Joan Baez, Janis Joplin, Simon & Garfunkel und Peter, Paul & Mary. Eine blauäugige Blondine wollte unbedingt die Hörfassung von Karins und Baktus hören, aber keine interessierte sich für Tschaikowsky oder Puccini, das änderte sich erst, als mir Ende Mai Hege wieder über den Weg lief.
    Hege hatte auf der Schule den musischen Zweig besucht, und als sie, nachdem wir im Kino die Reifeprüfung gesehen hatten, mit zu mir nach Hause kam, setzte sie sich ans Klavier und spielte Rachmaninows gesamtes zweites Klavierkonzert in c-Moll. Es dauerte über eine halbe Stunde, und als sie das Adagio spielte, war ich für einen Moment davon überzeugt, sie zu lieben. Aber schon als sie zum abschließenden Allegro ansetzte, war mir klar, daß die Musik mich hingerissen hatte und nicht die Pianistin. Als wir ins Schlafzimmer gingen, erinnerte ich sie an die Sache mit dem roten Fiat und die darauffolgende Romanze in einer Scheune, und sie prustete los. Wir waren beide erwachsen und hatten uns seit der Schulzeit nicht mehr gesehen.
    Hege übernachtete dreimal hintereinander bei mir, dann ging ihr auf, daß wir trotzdem kein richtiges Paar waren, und sie zog sich zurück und ließ nie wieder von sich hören. Ich konnte sie verstehen. Wir hatten uns schon als Kinder gekannt. Da gehörte es sich irgendwie nicht, nur aus Liebe zum Spiel Erwachsenenspiele zu treiben.
    Ich war mir fast sicher, daß Meter diese Ansicht teilte, denn an den drei Tagen, die Hege bei mir verbrachte, war er besonders unleidlich. Er rannte im Wohnzimmer und in der Küche hin und her und fuchtelte vor Heges Augen mit seinem Bambusstock. Es war mir ein Rätsel, warum sie ihn nicht sehen konnte.
    Viele Mädchen wollten auf den Balkon. Mutter hatte sich immer sehr um ihre Blumenkästen gekümmert, und ich hatte es nicht über mich gebracht, sie im ersten Frühling ohne Mutter zu vernachlässigen. Ich hatte alles ausgegraben und weggeworfen, was in den Kästen überwintert hatte, dann hatte ich sie bis an den Rand mit Blumenerde gefüllt und viele Blumenzwiebeln hineingesetzt. Das Ergebnis war überraschend gut, in diesem Frühling strotzten die Blumenkästen von Krokus, Osterglocken und Tulpen wie nie zuvor, und viele der Mädchen waren beeindruckt von meinem grünen Daumen. Bei gutem Wetter saßen wir oft auf dem Balkon und schauten bei einem Glas Martini oder Dubonnet über die Stadt.
    Ich mußte den Mädchen natürlich erklären, warum ich allein lebte, dabei zeigte ich ein paar von ihnen auch Mutters Kleiderschrank. Manchmal schenkte ich ihnen dann ein Kleid, das ihnen gefiel, ein Kostüm oder einen Mantel. Natürlich mußten sie vorher probieren, ob ihnen die Kleider paßten, das gefiel mir, es war jedesmal wie eine kleine Modenschau. Und wenn ich besonders gut gelaunt war, zauberte ich zum Abschied noch ein Paar Handschuhe hervor, einen Schal oder eine elegante Abendtasche. Am besten gefiel mir das Mädchen, das den Persianer bekam. Sie hieß Uerese, und ihr traten die Tränen in den Augen, als ich den Pelz zusammenlegte und in eine riesige Papiertüte steckte. Ich glaube bis heute nicht, daß sie nur aus Dankbarkeit über den Mantel so gerührt war. Sie muß das Geschenk als eine Art Heiratsantrag verstanden haben, oder zumindest als eine tiefempfundene Liebeserklärung voller Unter- und Zwischentöne - ich mußte mich wieder mal erklären. Meinem Vater gegenüber behauptete ich, Mutters Kleider allesamt der Heilsarmee gegeben zu haben, das nahm er widerspruchslos hin. Vielleicht hatte er den Persianer auch vergessen, jedenfalls ging fast alles an die Mädchen, die mir auch auszusondern halfen, was nur noch zum Wegwerfen taugte. Nach einem halben Jahr waren alle Kleider meiner Mutter aus dem

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