Der Geschichtenverkäufer
verweigerte. Pinkertons Verrat war so blutig wie zuvor, er brach der zarten Frau aus Nagasaki das Herz, aber weder Puccini noch seine Librettisten hatten ahnen können, daß die Amerikaner einige Jahrzehnte später zurückkehren und ganz Nagasaki zerstören würden. Das alles spielte sich in der schlimmsten Phase des Vietnamkrieges ab, und nach der Vorstellung saßen wir noch lange in Stortorgets Gasthaus und sprachen darüber, daß es in Saigon viele tausend Pinkertons geben mußte - und noch viel mehr Madame Butterflys.
Es überraschte mich nicht, als Maria eines Tages gegen Ende August zu mir kam und vorschlug, einen Schlußstrich unter unsere Beziehung zu ziehen. Es machte mich nur traurig. Ich kam mir dumm vor. Ich kam mir ebenso hilflos vor wie die Mädchen, die geglaubt hatten, daß vier oder sechs Übernachtungen bereits eine längere Beziehung garantierten.
Ich war nicht überrascht, als Maria plötzlich Schluß machte, weil sie bereits mehrere Male erwähnt hatte, daß sie sich vor mir fürchte. Sie habe Angst davor, mir in die Augen zu sehen, hatte sie einmal gesagt. Als ich fragte, warum, wandte sie sich ab und sagte, meine vielen Geschichten machten sie nervös, das, was sie als meine wuchernde Phantasie bezeichnete, jage ihr Angst ein. Es überraschte mich, daß sie so schreckhaft war. Später betonte sie, daß sie mich noch immer gern erzählen höre, und daß es nicht meine Geschichten seien, die sie ängstigten. Sie wisse nur nicht, ob sie auf Dauer eine intime Beziehung mit jemandem haben könne, der mehr in seiner Phantasiewelt lebe als in der Wirklichkeit. Ich war leichtsinnig genug gewesen, ihr von dem kleinen Mann mit dem Bambusstock zu erzählen, zweimal hatte ich ihn ihr sogar zeigen wollen. Ehrlich währt eben nicht immer am längsten.
Sie erzählte, sie habe sich bei einem der großen Stockholmer Museen als Konservatorin beworben.
Wir trafen uns auch in der folgenden Zeit noch, beschränkten uns aber auf ein- oder zweimal pro Woche. Wir waren gute Freunde, zwischen uns gab es keinen bösen Ton. Ich mußte daran denken, daß auch ich den Mädchen, die bei mir übernachtet hatten, weiterhin freundlich begegnet war.
Wir gingen zusammen ins Kino und ins Theater, und einige Male machten wir lange Wanderungen durch Nordmarka. Neue Geschichten erzählte ich nur noch, wenn sie mich darum bat. Wir schliefen nicht mehr miteinander zwischen den Blaubeersträuchern. Wir schliefen auch in Marias Bett im Studentenheim nicht mehr miteinander. Die Blaubeeren waren jetzt reif. Ihr Körper fehlte mir.
An einem warmen Spätsommerabend saßen wir auf dem Felsbuckel vor dem Gasthaus Frognerseteren, und ich erzählte viele Stunden lang eine Geschichte über ein Schachspiel mit lebendigen Figuren. Zuvor hatten wir mit einem schottischen Ehepaar gesprochen, das auf den Oslofjord gezeigt und gemeint hatte, Norwegen habe Ähnlichkeit mit Schottland. Die Geschichte entstand, während ich sie erzählte, und Maria war besonders beeindruckt davon, daß mir so viele schottische Namen einfielen. Die Grundstruktur der Geschichte war ungefähr diese:
L ord Hamilton war schon früh zum Witwer geworden, er besaß einen großen Herrensitz im schottischen Hochland. Schon als Knabe war er ein leidenschaftlicher Schachspieler gewesen, und da er sich auch im üppigen Garten hinter dem Herrenhaus wohl fühlte, ließ er auf dem offenen Platz zwischen einem raffinierten Irrgarten aus beschnittenen Hecken und einem gewaltigen Karpfenteich ein riesiges Freiluftschachspiel anlegen. Das Schachbrett bestand aus vierundsechzig schwarzen und weißen Marmorplatten von zwei mal zwei Yard, die aus Holz geschnitzten Schachfiguren waren zwischen zwei und drei Fuß hoch, je nach Wert und Rang der einzelnen Figur. Die Bediensteten auf dem Gut standen an späten Sommerabenden an den Fenstern und sahen zu, wie der Lord über die Marmorplatten wanderte und die riesigen Schachfiguren verschob. Hin und wieder setzte er sich in einen Gartensessel, und es konnte eine volle Stunde dauern, bis er sich erhob und den nächsten Zug machte.
Der Lord besaß eine kräftige Schelle, mit der er läutete, wenn der Butler ihm Whisky und Wasser bringen sollte, und es kam vor, daß der Butler fragte, ob er nicht bald ins Haus kommen wolle, denn er war um die Gesundheit seines Herrn besorgt. Er dachte aber sicher auch, die tiefe Trauer des Lords um seine Gattin und die Leidenschaft für das Schachspiel seien zuviel für den alten Mann und könnten ihn eines
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