Der Geschichtenverkäufer
gekommen, einem Mädchen eine Liebeserklärung zu machen, die mir nicht von Herzen kam. Vielleicht brauchte ich deshalb diese vielen Damenbesuche. Ich überlegte mir, daß ich eines Tages ein treuer Liebhaber sein könnte. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte ich mein ganzes Leben mit einer geliebten Frau in einer kleinen Waldhütte verbringen können. Ich mußte diese Frau nur finden. Auf meinen Wanderungen war ich davon überzeugt, daß sie jeden Moment auftauchen könnte. Vielleicht steht sie schon hinter der nächsten Wegbiegung, dachte ich. Das ist nicht übertrieben. Ich war davon überzeugt, daß es sie gab.
Als ich an besagtem Juninachmittag nach Ullevalseter kam, war ich von Midtstuen her gewandert. An heißen Juninachmittagen war Nordmarka fast menschenleer, vielleicht setzte ich deshalb besondere Erwartungen in diesen Tag. Ich war bis Skjennungsstua gegangen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen, das erhöhte die Chance, daß SIE mir plötzlich entgegenkam. Wenn es im Wald von Menschen gewimmelt hätte, hätten wir einander vielleicht nicht gesehen; wir wären jedenfalls nicht stehengeblieben, um miteinander zu reden.
Ich ging ins Café, holte mir eine Waffel und eine Tasse Johannisbeergrog und setzte mich dann ins Gras. Ein Stück entfernt auf einer Bank saß eine Frau mit blauen Jeans, rotem Pullover und dunklen Locken. Wir waren die einzigen Gäste auf Ullevalseter. Auch sie trank irgend etwas, erhob sich nach einer Weile aber und kam auf mich zugeschlendert. Für einen Moment fürchtete ich, eine von denen vor mir zu haben, die bei mir übernachtet hatten, ein paar von ihnen hatten dunkle Haare gehabt, einige auch Locken, es war nicht leicht, sich an alle zu erinnern. Doch die Frau, die jetzt vor mir stand, mußte um einiges älter sein, acht oder zehn Jahre vielleicht. Eine Frau in meinem Alter hätte sowieso nicht so ungeniert die Initiative ergriffen. Sie setzte sich neben mir ins Gras und stellte sich als Maria vor. Sie sprach Schwedisch. Ich war noch nie mit einer Schwedin zusammengewesen. Jetzt war ich davon überzeugt, daß ich während der vergangenen Monate nach Maria gesucht hatte. Wir beide gehörten zusammen, jemand anders als wir beide war nicht hier; es wäre ein zu großer Zufall gewesen, wenn wir uns an einem heißen Nachmittag im Juni auf Ullevalseter über den Weg gelaufen wären, ohne füreinander bestimmt zu sein.
Ein paar Minuten sprachen wir tastend über alles mögliche, dann redeten wir drauflos und kamen uns fast wie alte Bekannte vor. Sie war neunundzwanzig Jahre alt und hatte soeben an der Universität Oslo ihren Magister in Kunstgeschichte gemacht. Vorher hatte sie in Italien die Kunst der Renaissance studiert. Sie wohnte im Studentenheim Kringsja, was mir ebenfalls neu und verheißungsvoll erschien. Meine anderen Bekannten mußten immer zu mir nach Hause kommen, sie wohnten zusammen mit großen Familien, mit Eltern und kleinen Geschwistern. Maria war in Schweden geboren, ihre Eltern lebten jedoch in Deutschland.
Sie war etwas ganz Besonderes, aber je besser ich sie kennenlernte, desto häufiger dachte ich, daß wir uns in vieler Hinsicht auch sehr ähnlich waren. Sie war bezaubernd, anziehend und witzig. Sie besaß aber auch etwas von meinem Talent für schnelle Assoziationen und Gedankensprünge. Sie verfügte über eine raffinierte analytische Phantasie und griff in ein ähnliches Füllhorn voller Gedanken, Perspektiven und Ideen. Sie war sensibel und verletzlich, konnte aber auch rücksichtslos und frech sein. Maria war der erste Mensch in meinem Leben, für den ich wirklich etwas empfand und mit dem ich kommunizieren konnte und wollte. Wir kamen mir vor wie eine Zwillingsseele: ich war Animus, sie Anima.
Ich verliebte mich zum ersten Mal in meinem Leben Hals über Kopf, und ich erlebte diese Verliebtheit nicht als oberflächlich. Ich hatte viele Mädchen gekannt, sehr viele sogar. Es lag nicht an mangelnder Erfahrung, daß ich außer Maria keine andere mehr ansah. Ich glaubte, mir eine gute Grundlage zum Aufbau einer seriösen Beziehung erarbeitet zu haben.
Schon als wir bei Ullevalseter im Gras saßen, begann ich ihr Geschichten zu erzählen. Sie schien zu sehen, daß ich von Erzählungen überfloß, und zu wissen, daß sie sie jederzeit aus mir herauslocken konnte. Sie wußte auch genau, welche Geschichten ausgedacht waren und welche selbst erlebt. Maria hatte Sinn für Ironie und Meta-Ironie, eine Grundvoraussetzung für echte Kommunikation.
Ich
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