Der Geschichtenverkäufer
Ann seltsamerweise nichts Vergleichbares sagen. Wenn Mann und Frau auf demselben Hof dieselbe Verlockung verspürten, so brachte sie das nur enger zusammen; auf diese Weise stärkte die geheimnisvolle Mary Ann das Band zwischen den Eheleuten nur noch. Wir können vielleicht hinzufügen, daß auch die körperliche Liebe zwischen einem solchen Paar sich durch die geteilte Sehnsucht nach Mary Ann MacKenzie noch steigern konnte.
Die allererste Figur, die an diesem Abend geschlagen wurde, war nun Mary Ann. Deshalb konnte sie fast von Anfang an durch den raffinierten Irrgarten aus beschnittenen Hecken wandern oder vor dem Karpfenteich stehen und die Fische mit Kuchenkrümeln füttern, Iain war die Freiheit, die seine Frau so früh im Spiel gewonnen hatte, deutlich unangenehm. Von Anfang an folgte er ihr mit wachsamen Blicken.
Die nächste, die die Marmorplatten verließ, war Alleen Mac-Bride, die als schwarzer Bauer auf g7 angetreten war. Mary Ann war so berauscht von dem großen Garten, der schönen Sommernacht und dem vielen Likör, daß sie sofort Mrs. MacBrides Hände nahm und mit ihr über den weiten Rasen tanzte. Bald liefen sie Hand in Hand in den Irrgarten, und einige Figuren auf dem Brett konnten zusehen, wie Alleen und Mary Ann dort Küsse und Liebkosungen tauschten. Auch Hamish MacBride blieb nicht verborgen, was sich dort zwischen den Hecken abspielte, und es freute ihn für seine Frau; er kannte keine Eifersucht, denn er wußte nur zu gut, daß er Mary Ann als erster liebkost hätte, hätte sich ihm diese Möglichkeit geboten. Es dauerte noch lange, ehe weitere Figuren die Marmorplatten verlassen konnten.
Dies ist eine überaus komplizierte Geschichte, die Th ema vieler Kommentare und Analysen wurde. Wir wollen sie hier so kurz und bündig darstellen, wie es überhaupt nur möglich ist.
Es war eine verzauberte Nacht, Elfen und Schutzengel schienen über die Ereignisse dieses Mittsommerfests zu wachen. Der Lord und der Herzog konzentrierten sich immer mehr aufs Spiel, die Partie näherte sich langsam der Entscheidung, und im Garten wimmelte es von ausgelassenen Gästen, die auf den Marmorplatten nicht mehr gebraucht wurden. Alle scharten sich um Mary Ann; auch die Figuren, die ihr noch nie begegnet waren, umschwärmten sie jetzt anbetungsvoll und sehnsüchtig.
Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte Mary Ann das Gefühl, ganz sie selbst sein und allen von ihrer grenzenlosen Liebe geben zu können. Und obwohl Bosheit für sie ein Fremdwort war, gefiel ihr doch der Anblick von Iain, der vom Herzog auf den Marmorplatten herumgestoßen wurde. Denn Iain MacKenzie mußte auf dem Brett ausharren, bis der Herzog von Argyll Lord Hamilton schachmatt setzte. Das war kurz vor Sonnenaufgang. Mary Ann hatte guten Grund zu fürchten, Iain werde sie später zu Hause bestrafen, aber im Moment dachte sie nicht so weit, sie dachte nur an Iains jahrelange Untreue und glaubte an eine gewisse Gerechtigkeit auf dieser Welt. Dies war schließlich ihre Nacht.
Während sich die Lage auf dem Schachbrett klärte, wurde das Fest immer ausgelassener, man sagt, daß Mary Ann ihre Liebe mit allen teilte, die sich in dieser Nacht im Garten aufhielten. Iain MacKenzie aber mußte auf den Marmorplatten ausharren und zusehen, wie seine eigene Frau zur Königin des Festes und zum Objekt des kollektiven Begehrens wurde, eines sinnlichen Spiels, dem Mary Ann sich in dieser einen Nacht mehr als nur bereitwillig hingab, Iain fand sich ausmanövriert. Er konnte nicht eingreifen, denn es wäre eine gewaltige Schande gewesen, vor Ende der Partie um Beurlaubung vom Schachbrett zu bitten, eine Beleidigung für Lord Hamiltons Gastfreundschaft. Immer häufiger hob er jedoch den Arm, damit man ihm das Whiskyglas, das er die ganze Zeit in der Hand hielt, nachfüllte. Bald stand er nicht mehr sicher, aber mit dem Glas in der Hand konnte er immerhin Mary Ann im Auge behalten, die fröhlich mit einem neuen Mann, einer neuen Frau oder auch mit einem Ehepaar zwischen den Büschen verschwand. In dieser Nacht gab es im Garten des Lords keine Eifersucht. Alle liebten Mary Ann, so liebten auf gewisse Weise alle alle.
Als Lord Hamilton sich geschlagen geben mußte und dem Herzog von Argyll daraufhin die Hand schüttelte, torkelte Iain MacKenzie in den Garten, um sich auf die Jagd nach seiner Frau zu machen. Er fand sie im Gras, wo sie eng umschlungen mit dem Ehepaar MacIver saß, riß sie los und schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. In Sekundenschnelle griffen
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