Der Geschichtenverkäufer
gab eine kleine Auswahl meiner schönsten Geschichten zum besten, und Maria hörte durchaus nicht nur schweigend zu. Sie kommentierte, stellte Fragen und brachte kluge Einwände. Sie akzeptierte jedoch immer das Ende, das ich meinen Geschichten gab, nicht, um höflich zu sein, sondern weil ihr klar war, daß sie selbst auch keinen besseren Abschluß hätte finden können. Wenn ich etwas Dummes oder Inkonsequentes gesagt hätte, hätte sie mich bei der ersten Gelegenheit darauf hingewiesen, aber ich sagte nichts Dummes oder Inkonsequentes; alles, was ich Maria an diesem Nachmittag erzählte, war gut durchdacht. Das wußte sie. Maria war erwachsen.
Wir gingen hinunter zum Sognsvann. Der Vorschlag, den restlichen Nachmittag und den Abend miteinander zu verbringen, kam mir überflüssig vor. Wir sprudelten, wir schäumten über, wir hatten das Gefühl, in Champagner zu baden. Und dennoch glaube ich, daß mir schon bei dieser ersten Begegnung eine weitere Ähnlichkeit aufging: Maria war auch darin wie ich, daß sie es nicht eilig hatte, Garantien für die nächste Zukunft zu geben. Ich selber wäre zum ersten Mal bereit gewesen, einer Frau zu sagen, daß sie vielleicht die Rolle der Frau meines Lebens übernehmen könnte; aber ich hatte keine Ahnung, ob Maria bereit war, mir in ihrem Leben eine ebenso bedeutende Rolle einzuräumen.
Wir hatten das Sognsvann noch nicht erreicht, als Regen einsetzte. Es war schwül. Wir suchten Zuflucht im Heidekraut, unter einigen großen Bäumen, die nicht weit vom Weg entfernt standen. Ich nahm sie in die Arme, und sie ließ mich gewähren. Sie öffnete meinen Gürtel und wir halfen uns gegenseitig aus den Hosen. Zuerst berührten wir einander, dann fragte ich, ob sie die Pille nehme. Sie lächelte schelmisch und schüttelte den Kopf. Warum nicht? fragte ich. Sie lachte. Du stellst die ganze Frage auf den Kopf, sagte sie. Ich begriff gar nichts mehr, zum ersten Mal war ich mit einer Frau zusammen, die ich nicht verstand. Sie sagte: Ich nehme die Pille nicht, weil ich nichts dagegen habe, ein Kind zu bekommen. Ich sagte: Du bist verrückt.
Als es ihr gekommen war, ergoß ich mich über die Blaubeersträucher. Wieder lachte Maria, sie war zehn Jahre älter als die Mädchen, mit denen ich bisher zusammengewesen war. Sie machte keine große Sache daraus, daß ich über die Blaubeersträucher spritzte, weil sie die Pille nicht nahm. Auch Meter regte sich nicht weiter auf. Er stand nur mit nassem Filzhut im Regen und drosch mit seinem dünnen Spazierstock auf die Blätter ein.
In den folgenden Wochen waren wir jeden Tag zusammen. Ich hatte die erste Frau kennengelernt, die ich als ebenbürtig empfand. Mit den anderen Mädchen hatte ich mich wohl gefühlt, aber es hatte mir nie leid getan, sie am nächsten Morgen fortzuschicken. Alberne Frühstücksversuche hatte ich hassen gelernt. Viele Mädchen betrachteten ein Frühstück als eine Art Anfang, ich dagegen sah es als Abschluß. Maria aber hätte ich vermißt, wenn sie nach dem Frühstück plötzlich verschwunden wäre. Da wir uns so ähnlich waren, stellte ich mir vor, daß sie jeden Moment weggehen könnte. Ich stellte mir auch vor, daß Maria sich sehr genau aussuchte, mit wem sie zusammen war. Bisher konnte ich ihre Ansprüche erfüllen.
Nach jeder Begegnung mit ihr floß ich über von neuen Ideen. Das wußte sie. Sie bat mich, ihr zu erzählen, woran ich dachte, dann erzählte ich ihr eine Geschichte, zumeist eine ganz neue, die ich im Moment des Erzählens ersann. Manchmal hatte ich das Gefühl, daß sie nur mit mir schlief, weil das die sicherste Methode war, mir eine spannende Erzählung zu entlocken. Ich hätte gegen einen solchen Handel nicht einmal etwas gehabt. Ich hatte die Mädchen, mit denen ich zusammengewesen war, nicht ausgenutzt, und Maria nutzte mich nicht aus. Wir waren einander ebenbürtig. Wir waren in unserer erotischen Hingabe gleich schamlos, gleich zynisch in unserer Zärtlichkeit. Wir aßen uns aneinander satt, die Frage war nur, wer sich nach der Mahlzeit zuerst mit einem freundlichen Dankeschön erheben würde.
Eines Abends gingen wir in die Oper und sahen Madame Butterfly. Auch Maria mochte Puccini, darüber freute ich mich sehr. Ich hatte das Gefühl, ein Kreis habe sich geschlossen. Einige Jahre waren verstrichen, aber jetzt saß ich wieder mit jemandem in der Oper, und wir sahen uns Madame Butterfly an, der Unterschied war nur, daß uns niemand mehr das Glas Cinzano zwischen dem ersten und dem zweiten Akt
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