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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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Hamilton die große Schelle und bat um die Aufmerksamkeit der Gäste. Alle wußten bereits, daß auf den Marmorplatten eine Partie Schach mit den Gästen als lebenden Figuren gespielt werden sollte, doch der Lord mußte erst noch allen ihre Position auf dem Brett anweisen.
    Beim Essen war die Sitzordnung eher zufällig gewesen, auf dem Schachbrett aber war das anders. Zuerst stellte der Lord die acht Bauern und die acht Bäuerinnen auf. Bauer MacLean stand als weißer Bauer auf a2, ihm gegenüber stand seine Frau auf a 7 als schwarzer Bauer. Zu seiner Rechten stand Mrs. MacDonald auf b2, die sich ihrem Mann als schwarzem Bauern auf b 7 gegenüberfand. Dieses sorgfältig entworfene Muster sorgte dafür, daß alle Ehepaare einander über das Schachbrett hinweg im Auge behalten konnten. Sie konnten außerdem sehen, wie Ehemann oder Ehefrau sich mit Bauer oder Bäuerin auf den Nachbarfeldern vertrug. Auch bei den anderen galt diese Logik. Der weiße Springer, Polizeichef MacLachlan, stand auf b 1 hinter der Bäuerin MacDonald, seine Frau als schwarzer Springer auf b 8 hinter Bauer MacDonald auf b 7. Auf dem Schachfeld standen sechzehn Frauen und sechzehn Männer, quer durch die Ehen und die Geschlechter. Das einzige, was mit dieser Symmetrie brach, waren die Plazierung der Könige und Damen. Lord Hamilton bezog selber Position als weißer König auf e 1, links neben sich hatte er die Herzogin als weiße Dame auf d 1, ihm gegenüber stand der Herzog von Argyll als schwarzer König auf e 8 . Da Lady Hamilton nicht mehr unter ihnen weilte, trat in der Rolle der schwarzen Dame auf d 8 deshalb die Witwe MacQueen an. Hamilton unterhielt sich ab und zu mit ihr, wenn er ihr in der Stadt oder auf dem Friedhof begegnete, und hatte ein Auge auf sie geworfen.
    Es gab nur zwei Könige, die über die Bewegungen der Figuren bestimmten, die anderen Gäste waren in diesem Teil des Spiels Statisten. Lord Hamilton hatte nicht verschwiegen, daß die Schachpartie ihre Zeit in Anspruch nehmen, ja durchaus auch bis zum frühen Morgen dauern könne, denn er und der Herzog waren erfahrene Schachspieler, doch sollte die Partie auch ein Gesellschaftsspiel sein, bei dem alle anderen sich miteinander bekannt machen könnten. Jede Figur war ein lebendiger Mensch, und die Gäste wurden aufgefordert, sich so gut wie möglich miteinander zu unterhalten, während sie darauf warteten, daß der Lord und der Herzog entschieden, welche Figuren versetzt werden sollten. Wenn sie dann geschlagen waren, konnten sie sich in dem großen Garten amüsieren.
    Lord Hamilton eröffnete die Partie damit, daß er einen weißen Bauern, nämlich Mac Arthur, zwei Felder von e 2 auf e4. vorrücken ließ, worauf der Herzog von Argyll Mrs. MacArthur zwei Felder von e7 nach e5 verschob. Damit war die Partie in Gang. Der Butler, der mit Getränken auf dem Schachbrett hin und her lief, war der beste Zeuge dessen, was in der Folge passierte. Er machte sich nicht viel aus Schach, aber er registrierte doch voller Interesse, daß sich die Spannung auf den Marmorplatten immer weiter steigerte. Wir wollen hier nur eines der vielen Dramen erwähnen, die sich abspielten, vielleicht ist es aber auch das wichtigste.
    Mary Ann MacKenzie war eine ungeheuer anziehende Frau von Mitte Zwanzig. Auf dem Schachbrett stand sie als weißer Bauer auf d2 ihrem Mann Iain MacKenzie auf d7 gegenüber. Iain war viel älter als sie und immer schon als Schürzenjäger bekannt gewesen. Auch nach seiner Heirat mit Mary Ann hatte er noch mehrere Geliebte gehabt, außerdem vielen Ehefrauen der Gegend den Hof gemacht, unter anderem zwei von denen, die an diesem Abend mit einem Glas Likör in der Hand auf Lord Hamiltons Schachbrett standen.
    Alle in der Gegend hatten in diesen Jahren der schönen Mary Ann tiefes Mitgefühl entgegengebracht. Es wurde geflüstert, MacKenzie betrüge sie nicht nur nach Strich und Faden, sondern sei auch ein arger Haustyrann. In dieser Hinsicht waren die beiden gewaltige Gegensätze. Über Mary Ann hieß es, sie sei vielleicht die Schönste im ganzen Hochland. Sie war so wundersam anziehend, daß es nicht übertrieben wäre zu behaupten, daß alle, die ihr begegneten, sich sofort in sie verliebten, und das galt nicht nur für Männer. Mary Ann hatte etwas an sich, das auch viele Frauen dazu brachte, die Nächte hindurch wach zu liegen und an sie zu denken.
    Wenn Iain ein Moment der Unruhe war, das die Stabilität zahlreicher Ehen in der Gegend gefährdete, so ließ sich über Mary

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