Der Geschichtenverkäufer
Tages noch um den Verstand bringen. Seine Besorgnis wurde nicht geringer, als der Lord ihn eines Abends bat, auf das Schachbrett zu treten und einen schwarzen Springer darzustellen, da diese Figur nach einem heftigen Gewitter in die Werkstatt gewandert war. Fast zwei Stunden stand der Butler auf dem Brett, und nur einige wenige Male betrat der Lord die Marmorplatten und schob ihn zwei Felder vor und eins zur Seite oder ein Feld zurück und zwei zur Seite. Als er endlich von einem weißen Läufer geschlagen wurde und viele Stunden vor Ende der Partie ins Haus zurückkehren konnte, war er durchgefroren und wütend, aber natürlich auch zutiefst erleichtert.
Wenn der Lord die schwarzen und weißen Figuren versetzte, konnte man unmöglich sehen, ob er für eine der Farben Partei ergriff. Er spielte beide, so gut er konnte, er spielte für und gegen sich selber, und so gewann und verlor er jede einzelne Partie, falls diese nicht mit Remis endete. Immer häufiger kam es allerdings vor, daß er alle Figuren vom Brett schob und sie auf dem weiten Rasen aufstellte. Danach konnte er stundenlang dasitzen und einfach nur die Marmorplatten anstarren, die Bediensteten sagten dann, er könne die Figuren auf dem Brett sehen, auch wenn sie nicht dort stünden, deshalb könne er jetzt auch Schach mit sich selber spielen, ohne sich aus seinem Sessel zu erheben.
Der Butler gab sich alle Mühe, um den Lord auf andere Gedanken zu bringen, ihn von Brett und Figuren wegzuholen, und eines Abends schlug er vor, ein Sommerfest zu veranstalten, wie früher, als die Gnädige noch gelebt hatte. Es war an einem der seltenen Abende, an denen der Lord, der normalerweise seine eigene Gesellschaft vorzog, den Butler zu einem Glas Whisky eingeladen hatte. Jetzt saßen sie vor dem Karpfenteich, jeder mit einem Whiskyglas in der einen und einer dampfenden Zigarre in der anderen Hand. Der Lord schwieg einige Sekunden lang und sah den Bewegungen eines Karpfens zu, dann drehte er sich zu dem Butler um und erklärte, das mit dem Fest sei eine hervorragende Idee, aber er neige mehr zu einer Art Maskerade.
In den folgenden Stunden stellten sie eine Gästeliste auf, und als Hamilton bemerkte, daß er genau einunddreißig Gäste einladen wollte, erwachte die Besorgnis des Butlers zu neuem Leben, denn er wußte nur zu gut, daß ein Schachspiel zweiunddreißig Figuren hat, und hatte noch in frischer Erinnerung, wie er selbst zwei Stunden lang zum gefühllosen Vergnügen des Lords auf dem Schachbrett hatte stehen müssen. Der Lord verhehlte auch gar nicht seine Absicht, auf dem bevorstehenden Kostümfest eine Partie Schach mit lebendigen Figuren zu inszenieren, als Unterhaltung nach dem Essen. Einige Tage später wurden die Einladungen versandt, Einladungen, aus denen hervorging, daß auf Schloß Hamilton ein Schachkostümfest abgehalten werden sollte, weshalb jeder Gast gebeten wurde, sich als König, Dame, Turm, Läufer, Springer oder Bauer zu verkleiden. Die eingeladenen Bauern waren wirkliche Landwirte aus der Gegend, insgesamt acht Bauern und acht Bäuerinnen, sonst befanden sich unter den Gästen Offiziere, höhere Beamte oder Angehörige von Adel und Aristokratie.
Es wunderte den Butler nicht, daß alle die Einladung annahmen, denn obwohl Lord Hamilton sich in den vergangenen Jahren zu einem menschenscheuen Nörgler entwickelt hatte, standen er und sein Haus doch in hohem Ansehen. Außerdem bekleidete er einen höheren Rang als alle Eingeladenen, abgesehen vom Herzog von Argyll, der deshalb gebeten worden war, sich als König zu verkleiden. Für die eingeladenen Bauern bedeutete es schon ein Erlebnis, Schloß Hamilton überhaupt nur zu besuchen; es war beinahe unvorstellbar, denn auch außerhalb des Schachbrettes herrschten in der Gegend überaus strenge Regeln, was die Unterschiede von Rang und Stand betraf.
In den Wochen vor dem Fest, das für den Johannisabend angesetzt war, wurde in der Gegend über nichts anderes gesprochen. Einer der Bauern mußte einige Tage vorher aufgrund einer Krankheit in seiner Familie absagen, doch es war nicht schwer, ein anderes Bauernpaar zu finden. In der Gegend gab es davon genug, und sie brauchten es mit dem Kostüm auch nicht so ernst zu nehmen, sie sollten schließlich nur sich selbst darstellen.
Der große Tag kam, und schon beim Bankett wurden viele neue Bekanntschaften geschlossen, quer über die Grenzen von Rang und Stand hinweg. Nach der Mahlzeit wurden im Garten Kaffee und Dessert serviert, und bald hob Lord
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