Der Geschichtenverkäufer
war sie ja noch nicht gelähmt!
Aber sie konnte sich doch unmöglich daran erinnern, daß ihr Vater Zirkusdirektor war, protestierte Mutter.
Ich hätte fast resigniert, Mutter enttäuschte mich nicht zum ersten Mal. Sie konnte ziemlich schwer von Begriff sein.
Darüber haben wir doch schon gesprochen, sagte ich.
Ich habe gesagt, daß sie nicht wußte, daß der Zirkusdirektor ihr Vater war, und er selber wußte es auch nicht. Natürlich konnte er seine Tochter nicht erkennen, wo er sie doch zuletzt mit anderthalb Jahren gesehen hatte.
Mutter fand, ich müsse mir das alles noch einmal überlegen, aber das mußte ich keineswegs. Ich sagte: An dem Tag, an dem die Wahrsagerin die Tochter des Zirkusdirektors aus dem Fluß gefischt hatte, schaute sie in ihre Kristallkugel und sah voraus, daß dieses kleine Mädchen eine berühmte Zirkusartistin werden würde. Deshalb ging das Mädchen eines schönen Tages auf seinen eigenen Füßen zum Zirkus. Alles, was eine echte Wahrsagerin in ihrer Kristallkugel sieht, geht nämlich in Erfüllung. Deshalb gab die Wahrsagerin der Kleinen auch einen Zirkusnamen und ließ ihr sicherheitshalber gleich ein paar schöne Trapezkunststücke beibringen.
Mutter hatte ihre Zigarette in dem Aschenbecher ausgedrückt, der auf dem grünen Klavier stand. Sie sagte: Aber warum hat die Wahrsagerin ihr Unterricht ...
Ich fiel ihr ins Wort: Als Panina Manina zum Zirkus kam und ihre Künste vorführte, wurde sie sofort engagiert und war bald so berühmt wie Abbott und Costello. Aber der Zirkusdirektor begriff noch immer nicht, daß er seine Tochter vor sich hatte. Wenn er das begriffen hätte, dann hätte er ihr vielleicht auch nicht erlaubt, ihre gefährlichen Trapezkunststücke vorzuführen.
Ich glaube, ich gebe auf, sagte Mutter. Sollen wir einen Spaziergang durch den Park machen?
Aber ich erzählte weiter: Die Wahrsagerin hatte außerdem in ihrer Kristallkugel gesehen, daß Panina Manina sich im Zirkus das Genick brechen würde, und an einer echten Prophezeiung läßt sich nun mal nichts mehr ändern. Deshalb packte sie ihre Siebensachen zusammen und ging nach Schweden.
Mutter war kurz in die Küche gegangen. Jetzt stand sie mit einem Kohlkopf in der Hand vor dem Klavier. Sie starrte mich fassungslos an: Warum nach Schweden?
Das hatte ich mir schon überlegt. Dann brauchten der Zirkusdirektor und die Wahrsagerin sich nicht darüber zu streiten, bei wem Panina Manina wohnen sollte, wenn sie das Genick gebrochen hätte und nicht mehr allein zurechtkäme.
Wußte die Wahrsagerin, daß der Zirkusdirektor der Vater des Mädchens war? fragte meine Mutter.
Das hat sie erst erfahren, als Panina Manina schon auf dem Weg zum Zirkus war, erklärte ich. Erst da sah sie in ihrer Kristallkugel, daß Panina Manina mit ihrem Vater vereint werden würde, sowie sie sich das Genick gebrochen hätte, und da beschloß die Wahrsagerin auch gleich mit ihrem Wohnwagen nach Schweden weiterzuziehen. Sie freute sich natürlich darüber, daß Panina Manina endlich zu ihrem Vater zurückfinden würde, aber es war traurig, daß sie sich erst das Genick brechen mußte, bevor er sie wiedererkannte.
Ich wußte nicht so recht, wie ich jetzt weitermachen sollte. Nicht, weil es so schwer gewesen wäre, ganz im Gegenteil, ich hatte einfach zu viele Möglichkeiten zur Auswahl. Ich sagte: Jetzt sitzt Panina Manina im Rollstuhl und verkauft Zuckerwatte. Es ist zirkuseigene Zuckerwatte, wer davon ißt, muß über die Clowns so lachen, daß er fast keine Luft mehr bekommt. Und einem Jungen ist es dann wirklich passiert. Er fand es toll, über die Clowns zu lachen, aber keine Luft mehr zu bekommen, gefiel ihm dann nicht mehr so gut.
Damit war die Geschichte von Panina Manina eigentlich zu Ende. Ich hatte ja schon angefangen, von dem Jungen zu erzählen, der so schrecklich lachen mußte, daß er keine Luft mehr bekam. Und ich mußte auch an die vielen anderen Zirkusartisten denken. Ich war schließlich für den ganzen Zirkus verantwortlich.
Meine Mutter wußte das nicht. Sie sagte: Panina Manina hatte doch sicher auch eine Mutter?
Nein, sagte ich, genauer gesagt, ich schrie. Denn die war tot!
Dann brach ich in Tränen aus, ich glaube, ich weinte eine ganze Stunde lang. Und wie immer wurde ich von Mutter getröstet. Ich weinte nicht, weil die Geschichte so traurig war. Ich weinte aus Furcht vor meiner eigenen Phantasie. Außerdem fürchtete ich mich vor dem kleinen Mann mit dem Bambusstock. Er hatte auf dem persischen Puff
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