Der Geschichtenverkäufer
damit ärmer als die meisten anderen Menschen. Trotzdem würde ich dieses Leben nicht gegen das eines Studienrates eintauschen. Auch nicht gegen das eines Schriftstellers. Ein so klar abgegrenztes Leben würde mir nicht liegen.
Der kleine Mann macht mich nervös. Ich kann ihn nur vergessen, wenn ich mich ins Schreiben stürze. Dabei werde ich so weit zurückgehen, wie meine Erinnerung nur reicht.
Der kleine Petter Spinnenmann
I ch glaube, daß ich eine glückliche Kindheit hatte. Meine Mutter glaubte das nicht. Sie wurde schon über Petters asoziales Verhalten ins Bild gesetzt, als der noch nicht einmal zur Schule ging.
Das erste ernste Gespräch, zu dem meine Mutter einbestellt wurde, fand im Kindergarten statt. Ich hatte den ganzen Vormittag den anderen Kindern beim Spielen zugesehen, aber ich hatte mich dabei nicht unglücklich gefühlt. Ich fand es witzig zu sehen, wie ernst sie alles nahmen. Viele Kinder schauen sich gern lebendige Kätzchen, Kanarienvögel oder Hamster an, und auch mir machte das Spaß, aber noch lieber beobachtete ich lebendige Kinder. Ich hatte sie in der Hand, ich bestimmte, was sie machten und sagten. Sie wußten das nicht und die Kindergärtnerinnen auch nicht, aber wenn ich Fieber hatte und zu Hause bleiben mußte, passierte im Kindergarten rein gar nichts. Die Kinder zogen ihre Overalls aus und an, aus und an. Ich beneidete sie kein bißchen. Ich glaube, sie aßen an solchen Tagen nicht einmal ihr Pausenbrot.
Meinen Vater sah ich nur sonntags. Dann gingen wir in den Zirkus. Echter Zirkus war schön und gut, aber wenn ich nach Hause kam, plante ich meinen eigenen. Das war viel schöner. Damals konnte ich noch nicht schreiben, aber in Gedanken stellte ich mir meinen eigenen Lieblingszirkus zusammen. Das war nicht so schwer. Ich zeichnete ihn auch, nicht nur Zelte und Ställe, sondern auch die Tiere und die Zirkusartisten. Das war schon schwerer. Ich war kein guter Zeichner. Noch bevor ich in die Schule kam, hörte ich mit dem Zeichnen auf.
Ich saß beinahe regungslos auf dem breiten Teppich, und meine Mutter wollte mehrere Male wissen, woran ich dachte. Ich sagte wahrheitsgemäß, ich spiele Zirkus. Sie fragte, ob wir etwas anderes spielen sollten.
Das Mädchen am Trapez heißt Panina Manina, sagte ich. Sie ist die Tochter des Zirkusdirektors. Aber das wissen die Leute im Zirkus nicht, und sie weiß es auch nicht, und der Zirkusdirektor hat auch keine Ahnung.
Mutter hörte aufmerksam zu, sie drehte das Radio leiser, und ich erzählte weiter: Eines Tages fällt sie vom Trapez und bricht sich das Genick, es passiert in der letzten Vorstellung, kein Mensch in der Stadt will sich jetzt noch eine Eintrittskarte für den Zirkus kaufen. Der Zirkusdirektor bückt sich über die Unglückliche, und da sieht er, daß sie eine dünne Kette um den Hals trägt. An der Kette ist ein Amulett aus Bernstein befestigt, und darin steckt eine viele Millionen Jahre alte Spinne. Da endlich erkennt der Zirkusdirektor, daß Panina Manina seine eigene Tochter ist, denn dieses seltene Amulett hatte er am Tag ihrer Geburt für sie gekauft.
Dann wußte er doch immerhin, daß er eine Tochter hatte, wandte Mutter ein.
Aber er dachte, sie sei ertrunken, erklärte ich. Die Tochter des Zirkusdirektors war nämlich mit anderthalb Jahren in den Fluß gefallen. Damals hieß sie einfach Anne-Lise.
Und später wußte der Zirkusdirektor nicht, daß sie noch immer am Leben war.
Mutter machte große Augen. Sie schien mir nicht zu glauben, darum sagte ich: Aber sie wurde glücklicherweise von einer Wahrsagerin aus dem kalten Wasser gefischt, und diese Wahrsagerin hauste ganz allein in Nydalen in einem rosa Wohnwagen, und seit jenem Tag wohnte dort auch die Tochter des Zirkusdirektors.
Mutter hatte sich eine Zigarette angesteckt. In ihrem engen Kostüm ging sie im Zimmer auf und ab: Haben sie wirklich in einem Wohnwagen gehaust?
Ich nickte. Die Tochter des Zirkusdirektors hatte seit ihrer Geburt in einem Zirkuswagen gelebt. Deshalb wäre es für sie eine viel größere Umstellung gewesen, plötzlich in einen modernen Wohnblock ziehen zu müssen. Die Wahrsagerin wußte nicht, wie das kleine Mädchen hieß, deshalb nannte sie sie Panina Manina, und diesen Namen behielt sie dann.
Aber wie ist sie wieder in den Zirkus gelangt? fragte Mutter.
Sie wurde erwachsen, sagte ich. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen. Dann ist sie auf ihren eigenen Füßen zum Zirkus gegangen. Auch das war nicht weiter schwierig. Damals
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