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Der Geschichtenverkäufer

Der Geschichtenverkäufer

Titel: Der Geschichtenverkäufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jostein Gaarder
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weint, um eine Wirkung zu erzielen. Jetzt war sie nur noch hart und kalt. Ich kannte sie nicht, ich wußte nicht, welches Kreuz sie mit sich herumtrug, und ihr Panzer war nun undurchdringlich.
    Sie sagte: Ich habe Angst. Ich habe Angst um uns beide.
    Das war vielleicht ein Schlüssel. Sie wußte von den Plänen, mich umzubringen, sie hatte nur nicht begriffen, daß ich die Spinne war, das war ihr erst jetzt aufgegangen, nachdem ich ihr verraten hatte, daß ich Autoren half. Sie hatte es verstanden, als ich die lange Geschichte über die Tochter des Zirkusdirektors erzählt hatte, und ganz sicher war sie sich, als ich mein genaues Alter nannte. Sie hatte sich in den Augen der Spinne gesehen, und das waren nicht nur zwei, sondern viele. Das hatte ihr angst gemacht. Sie hatte gewußt, daß die Spinne ein Ungeheuer war, aber sie hatte sich von diesem Ungeheuer verführen lassen, ehe sie es identifizieren konnte. Sie wußte von den Plänen, mich umzubringen. Jetzt hatte sie Angst um uns beide.
    Wir kamen an der Wache vorbei und gingen schweigend weiter durch die Stadt. Vor den Fenstern und auf kleinen Balkons und Simsen hing Wäsche, T-Shirts und Büstenhalter tanzten im kühlen Wind wie Signalflaggen aus einem normalen Leben. Ich konnte in diesem Alltagsleben jetzt etwas Zauberhaftes sehen, Beate dagegen ging immer schneller, ich konnte fast nicht mit ihr Schritt halten. Sie hielt erst inne, als wir den Strand erreichten. Ich wußte nicht, wo sie wohnte, und unsere Wege würden sich hier trennen.
    Ich legte ihr eine Hand auf den Rücken, und sie schien zu erstarren.
    Ich begreife das nicht, sagte ich.
    Nein, du begreifst es nicht, sagte sie. Und ich kann es dir nicht sagen.
    Sie schüttelte meine Hand ab.
    Werden wir uns nie wiedersehen? fragte ich.
    Nie, sagte sie. Dann fügte sie hinzu: Vielleicht muß einer von uns sterben. Begreifst du das auch nicht?
    Ich schüttelte den Kopf. Sie war aus dem Gleichgewicht geraten. Wieder mußte ich an Mary Ann MacKenzie denken. Ich wußte nicht, was ich in ihr ausgelöst hatte.
    Nie mehr also, sagte ich.
    Doch inzwischen hatte sie nachgedacht, denn jetzt sagte sie: Vielleicht müssen wir uns wiedersehen. Morgen eventuell, aber dann wirklich zum allerletzten Mal.
    Sie sagte das mit einer Kälte, die mir angst machte. Schön, sagte ich. Möchtest du mit mir im Hotel zu Mittag essen?
    Sie schüttelte den Kopf. Sie war bitter, bitter. Dann sagte sie: Wir machen einfach nur einen Spaziergang.
    Ach?
    Wir können über das Gebirge gehen ... nach Ravello.
    Von Ravello hatte ich gehört. In dieser alten, hoch in den Bergen gelegenen Villa hatte Wagner seinen Parsifal komponiert. Es war kurz vor seinem Tod gewesen. Parsifal war Wagners letztes Werk.
    Ich versuchte, ihr keine weiteren Fragen zu stellen, das alles ging offenbar viel zu tief. Und ich war ebenfalls am Ende meiner Kräfte. Auf der Beerdigung meiner Mutter hatte ich kein Wort sagen können, und es war eine Schande gewesen. Seither lebte ich in einem Labyrinth gefangen, in meinem eigenen Labyrinth, meinem eigenen Gefängnis. Ich hatte das Labyrinth selbst angelegt, aber ich wußte nicht, wie ich mich daraus befreien sollte.
    Ich sagte: Ich habe ein leeres, elendes Leben geführt. Du bist die einzige, die mir wirklich wichtig ist, die einzige, die ich liebe.
    Wieder weinte sie. Die anderen Leute am Strand schauten schon zu uns her.
    Ein Gedanke jagte mir durch den Kopf, vielleicht war er die Rettung. Ich sagte: Du hast gestern gesagt, du wolltest mir von deinem Vater erzählen. Weißt du noch?
    Sie zuckte zusammen. Dann dachte sie einige Sekunden nach, sagte aber nur: Ich habe genug gesagt.
    Für einen kurzen Moment lehnte sie sich an mich, und ihr Kopf ruhte an meinem Hals, es war, als schmiegte sich ein Hundebaby an seine Mutter, weil die Welt so groß ist. Nach all den Tränen und Gemütsaufwallungen wurde ich wieder von Zärtlichkeit für sie erfüllt. Ich legte die Arme um sie und küßte sie auf die Stirn, aber sie fuhr zurück und verpaßte mir erst eine und dann noch zweite, kräftigere Ohrfeige. Ich konnte nicht sehen, ob sie böse war. Auch nicht sehen, ob sie lächelte. Sie riß sich einfach los und war verschwunden.

    Ich ließ das Mittagessen ausfallen, ich hätte mich jetzt in keinen Speisesaal der Welt setzen können. Glücklicherweise hatte ich eine Packung Kekse und eine Tüte Erdnüsse auf dem Zimmer. Ich setzte mich an den Schreibtisch und versuchte, meinen Lebensbericht fortzusetzen, auf diese Weise konnte ich

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