Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der gestohlene Traum

Der gestohlene Traum

Titel: Der gestohlene Traum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Marinina
Vom Netzwerk:
Nastjas Kopf lief ohne Unterbrechung, auch dann, wenn sie an ihre Beziehung zu Ljoscha dachte, ließ sie der Gedanke an den Mord nicht los. Es würde gut tun, Ljoscha alles der Reihe nach zu erzählen, er war ein aufmerksamer, scharfsinniger Zuhörer und würde sofort jede Unstimmigkeit in ihrem Bericht erkennen.
    »Es waren einmal Lena und Vitalij, die als Zeitarbeiter aus der Provinz nach Moskau kamen«, begann Nastja, nachdem sie es sich am Küchentisch bequem gemacht und ihre kalten Finger um eine Tasse mit heißem Kaffee geschlungen hatte.
    Der ausführliche Bericht über die Ereignisse des Jahres neunzehnhundertsiebzig dauerte fast eine halbe Stunde. Bevor Nastja auf den Mord an Vika kam, erzählte sie Ljoscha vom Kosmos-Verlag.
    »Der Verlag hat die Angewohnheit, eingehende Manuskripte prinzipiell nicht an die Autoren zurückzuschicken. Der Autor kann sein unsterbliches Werk zwar jederzeit zurückbekommen, muss es aber persönlich in der Redaktion abholen. Die unabgeholten Manuskripte verschwinden irgendwohin, und dann tauchen einzelne Episoden oder Ideen aus diesen Manuskripten plötz-lich in den Werken des berühmten westlichen Bestsellerautors Jean-Paul Brisac auf, dessen Thriller enorme Auflagen erreichen. Der Untersuchungsführer Smeljakow, der sich auf seine alten Tage entschlossen hatte, zur Feder zu greifen, beschrieb in einer Erzählung den Mord an Vitalij Lutschnikow und die anschließende Aktenfälschung, bei der die Existenz von zwei Augenzeugen vertuscht wurde. Er brachte sein Manuskript zu Kosmos, und von dort ging es postwendend an den geheimnisvollen Brisac, der unter dem Titel ›Todessonate‹ einen seiner Thriller daraus machte. Aus dem dilettantischen Werk eines Anfängers hat der Meister ein großartiges Plagiat geschaffen. Und eines Tages überträgt ein russischer Rundfunksender in seinem Literaturprogramm Passagen aus dem neuen Bestseller in russischer Übersetzung. Wie es der Teufel will, hört Vika diese Sendung. Das, was sie vor dreiundzwanzig Jahren mit eigenen Augen gesehen und was Smeljakow in seiner Erzählung beschrieben hat, war als eine der eindrucksvollsten und unheimlichsten Szenen der ›Todessonate‹ in Brisacs Werk eingegangen. Und ausgerechnet mit dieser Szene wird im Rundfunk um die Gunst der russischen Leserschaft geworben. Doch für Vika stellt sich das alles ganz anders dar. Die in der Kindheit erlebte Szene hat sich tief in ihr Unterbewusstsein eingeprägt, und ohne zu wissen, wo das Bild herkommt, träumt sie ihr Leben lang von den fünf blutroten Linien mit dem grünen Violinschlüssel. Als sie im Radio plötzlich die Beschreibung ihres eigenen Traumes hört, gerät sie in schreckliche Verwirrung. Alles hätte wahrscheinlich seinen vorgezeichneten Lauf genommen, am ehesten hätte Vika sich wohl eine psychiatrische Diagnose eingehandelt, wäre nicht Valentin Kosarj aufgetaucht. Ein offener, kommunikativer Mensch, der sich seiner Umwelt gegenüber anteilnehmend und wohlwollend verhält und jedem Nächstbesten, unter anderen auch seinem Freund Bondarenko vom Kosmos-Verlag, von Vikas seltsamen Krankheitssymptomen erzählt. Und Bondarenko fällt ein, dass er irgendwann einmal schon etwas über diesen unseligen grünen Violinschlüssel gelesen hat. Jeden anderen hätte das nicht weiter gekümmert, aber nicht so Kosarj. Er nimmt sich vor, Boris Kartaschow anzurufen und ihm von seinem Gespräch mit Bondarenko zu berichten.«
    Nastja hielt inne und goss sich eine neue Tasse Kaffee ein.
    »Und wie geht es weiter?«, fragte Ljoscha ungeduldig.
    »Alles Weitere sind nur Vermutungen. Vielleicht hat Kosarj wirklich angerufen. Aber Boris Kartaschow ist gerade verreist, und Kosarj hinterlässt eine Nachricht auf seinem Anrufbeantworter. Vika, die einen Schlüssel zu Kartaschows Wohnung besitzt, kommt zu ihm nach Hause, hört den Anrufbeantworter ab, vernimmt Kosarjs Nachricht und setzt sich mit Bondarenko in Verbindung. Dieser versucht, das besagte Manuskript zu finden, aber ohne Erfolg. Er möchte der attraktiven jungen Frau helfen und bietet ihr an, mit ihr zusammen Smeljakow, den Autor des verschollenen Manuskripts, aufzusuchen. Sie wollen sich in zwei Tagen, am darauf folgenden Montag, wieder treffen, aber Vika erscheint nicht, und Bondarenko vergisst die ganze Geschichte. Und eine Woche später wird Vika erwürgt und misshandelt aufgefunden. Und zwar ganz in der Nähe von Smeljakows Wohnort. Ganz offensichtlich ist sie tatsächlich zu ihm gefahren, nur aus irgendeinem Grund

Weitere Kostenlose Bücher