Der gestohlene Traum
Vorbereitung zu helfen, sitze ich hier und bewache deine Wohnung. Ich bin einer Hochzeit ferngeblieben, zu der ich schon vor zwei Monaten eingeladen wurde, ich habe den Geburtstag meines wissenschaftlichen Betreuers verpasst und den alten Mann damit tödlich beleidigt, ich habe das Treffen mit einem anderen Aspiranten versäumt, der am anderen Ende Russlands wohnt und nach Moskau gekommen ist, um mich zu sehen, Stattdessen sitzt er jetzt im Gästehaus der Universität, verbrät sein armseliges Ingenieursgehalt in der horrend teuren Hauptstadt und wartet geduldig, bis seine Majestät, Professor Tschistjakow, endlich geruht, sich von seiner Geliebten loszureißen und im Dienst zu erscheinen. Ich bringe alle möglichen Leute in Schwierigkeiten und beleidige sie. Später werde ich mich ihnen erklären und Zusehen müssen, wie ich das alles wieder in Ordnung bringe. Ich wüsste eigentlich ganz gern, wofür ich alles das auf mich nehme.«
Nastja war, als könnte sie sehen, wie die Wogen des Zorns, die sich unter Ljoschas dunkelrotem Lockenschopf bildeten, an seinen Schultern und Armen hinabflossen, in die langen, gelenkigen Finger, wo sie in den Karten versandeten, die diese Finger nicht zu mischen aufhörten. Wären die Karten nicht gewesen, so schien es ihr für einen Moment, hätte sich der gesamte Zorn aus diesen Händen direkt auf sie ergossen. Das Bild war so deutlich, dass sie sich unwillkürlich zusammenkrümmte.
»Ljoschenka, ich habe dir doch erklärt. . .«, begann sie, doch er unterbrach sie erbost.
»Es kommt dir nur so vor, dass du mir etwas erklärt hast. In Wirklichkeit erteilst du mir nur Befehle wie einem Diensthund. Und das lasse ich mir nicht mehr bieten. Entweder erzählst du mir alles von Anfang an, damit ich endlich begreife, was zum Teufel hier vor sich geht, oder du kaufst dir einen Hund und lässt mich gehen.«
»Bist du mir böse?«
Nastja ging vor Ljoscha in die Hocke, stützte ihr Kinn auf seine Knie und umfasste mit beiden Armen seine muskulösen Waden.
»Verzeih mir, Ljoschenka, ich bin im Unrecht, ich habe mich nicht richtig verhalten, aber ich gelobe dir sofortige Besserung. Nur sei bitte nicht böse, ich flehe dich an, du bist mir der nächste und liebste Mensch auf der Welt, und wenn wir uns zerstreiten, besonders jetzt, in diesem schwierigen Moment, werde ich es sehr schwer haben. Sag bitte, dass du mir verzeihst.«
Nastja wählte und sagte automatisch die in dieser Situation notwendigen Worte, Ljoschas Ausbruch hatte sie nicht im Geringsten verletzt. Sie hatte gewusst, dass das früher oder später kommen musste, dass Ljoscha sich nicht lange zum Prellbock machen lassen würde. Sie hatte gehofft, dass die Lage sich entspannen würde, bevor seine Geduld riss. Aber sie hatte sich verrechnet, und dann war auch noch Larzew mit dem Revolver in der Hand aufgetaucht. Natürlich hatte Ljoscha das Angst einjagen müssen, wie konnte es anders sein, und es war nur allzu verständlich, dass er wissen wollte, aus welchem Grund man ihn hätte erschießen können. Du dumme Gans, schimpfte sie sich innerlich, du selbstgewisse dumme Gans. Du kämpfst mit einem Phantom und vergisst dabei die einfachsten menschlichen Gefühle, deren stärkste Liebe und Angst sind. Du hast Ljoscha in deiner Wohnung eingeschlossen und nicht bedacht, dass er dabei eine ähnliche Angst empfinden muss wie du selbst in jener Nacht, als du nach Hause kamst und die Tür zu deiner Wohnung offen stand. Durch das Auswechseln des Türschlosses ist die Gefahr nicht geringer geworden, denn wenn sie sich den alten Schlüssel besorgen konnten, werden sie sich auch den neuen besorgen können. Und Ljoscha sitzt Tag für Tag hier mit seiner Angst und spielt die Ruhe selbst, wie es sich für einen Mann gehört. Es ist ganz offensichtlich, dass du in eine sehr ernste Lage geraten bist, und er macht sich schon seit langem Sorgen um dich, schon seit Wochen kann er erst aufatmen, wenn du abends endlich nach Hause kommst, und du selbstsüchtige Ignorantin bist nicht einmal auf die Idee gekommen, ihn wenigstens ab und zu aus dem Büro anzurufen und wissen zu lassen, dass alles in Ordnung ist. Liebe und Angst. Larzew und seine Tochter. Lena Lutschnikowa und ihr Halunke von Ehemann. Der Parteifunktionär Alexander Alexejewitsch Popow und sein unehelicher Sohn Sergej Gradow. Und noch einmal Sergej Gradow, der Parteifunktionär. Die schöne, trunksüchtige Prostituierte Vika Jeremina. Gradow und das Phantom . . .
Die analytische Maschine in
Weitere Kostenlose Bücher